Ansprache vom 12.11.2018 zur Eröffnung der Ausstellung „...unerwünscht“ 1938 – Schicksalsjahr der Juden in Landsberg

Sitta Schleßinger, diese Landsberger Realschülerin von 1938, hätte ich vor zehn Jahren gerne noch zu ihren Lebzeiten ausfindig gemacht. Sie starb 2014, doch bekamen wir 2017 Kontakt zu ihrer Tochter Sonia (links) und Enkelin Ronit (mittig). Foto von ~ 2010

 

Ich grüße Sie

 

und freue mich natürlich, dass wir den Ertrag unserer zeitgeschichtlichen Arbeit ab heute interessierten Menschen vorstellen können.

 

Doch das Thema unseres Zusammenkommens, die Diskriminierung und Vertreibung der jüdischen Familien Landsbergs ist kein Grund zu Freude. Und doch ist so etwas wie Genugtuung dabei:

 

Wir haben Scham und Trauer zugelassen, als wir alle verfügbaren Dokumente prüften und noch einmal durchlebt haben, wie es den jüdischen Familien ging, als sie aus unserer Stadt ausgestoßen wurden. Dass unser kollektives Erinnern das sehr, sehr Unangenehme in unserer Geschichte einschließt, ist so etwas wie eine kulturelle Errungenschaft – und auch gut für beide Seiten.  Würden wir weiterhin vergessen wollen und Schlussstriche ziehen, trüge dies schwerlich zu einer gemeinsamen Zukunftsgestaltung bei. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass der mancherorts erstarkte Rechtpopulismus seinen Nährboden auch im dunklen Schweigen, in der Geschichtsvergessenheit hat.

 

Halten wir uns vor Augen: Quer über dem Durchgang des Bayertors war schon 1935 ein Banner gespannt „Juden sind hier unerwünscht“. 1938 entwickelten sich solche unver-schämten Parolen zum tatsächlichen, gewaltsamen Rausekeln. Wenn man sich das nach 80 Jahren anschaut, bedrückt es  immer noch, wie Juden menschlich erniedrigt wurden und sie sich verzweifelt nach Auswegen umschauen mussten.

 

Unsere seit 2007 weitergeführten Nachforschungen haben aber auch gezeigt, was in höchster Not dennoch geht, dass es einige gab, die den bedrängten, schon abgestem-pelten Nachbarn erfreulicherweise halfen. Auf die wird Herr Rößle noch speziell zu sprechen kommen.

 

Ungemischte Freude hingegen erfüllt uns, erleben zu dürfen, dass unsere früheren Landsberger jüdischen Glaubens, die wegen ihrer angeblich minderwertigen „Rasse“ ausgetilgt werden sollten, trotz allem das Andenken an ihre ehemalige Heimat bewahrt haben.

 

Wäre das auf jüdischer Seite nicht so und hätten wir hier nicht gleichzeitig auch am Verhängnis der Nazi-Zeit in unserer Stadt öffentlichkeitswirksam gearbeitet, könnten wir heute in unseren Reihen nicht einen ehemaligen Willstätter-Buben begrüßen und auch nicht eine Enkelin von Sitta Schlessinger. Sie sind im Unterschied zu Früher ausdrücklich erwünscht und ich heiße Sie nochmals herzlich willkommen! Eine Enkelin von Max Westheimer, Lothars Tochter Karen Bales, bedauert „aus tiefstem Herzen“, heute terminlich verhindert zu sein.

 

Diese Ausstellung verdankt sich der nachhaltigen Motivation und Anstrengung der drei Kuratoren und der Aufgeschlossenheit der Vorstandschaft des Historischen Vereins. Wir wollen mit ihr ausdrücklich dem alten und leider immer wieder aufkommenden Trend entgegen treten:

 

„Lasst das doch endlich, was vor 80 Jahren geschehen ist; haben wir denn nicht andere Probleme?“

 

Schon auch, doch durch die gegenwärtig wieder problematische Verrohung und Gewaltaufladung der öffentlichen Kommunikation, wird man gemahnt, und fragt sich, ob aus früheren Zeiten nicht doch etwas gelernt werden könnte:

 

·     Hätten unsere Vorväter und –mütter in der Weimarer Republik trotz wirtschaftlicher Not und Konkurrenz auf den Märkten und im demokratischen Streitfeld gemeinsame Werte geachtet und menschlichen Respekt bewahrt,

 

·     hätten sie ihre christliche Gesinnung - oder auch nur den Geist der Aufklärung - nicht nur still in sich bewahrt, sondern im Kern rechtzeitig etwas mutiger ausgelebt und wären sie darin stärker zusammengestanden,

 

·     hätten sie sich die demokratischen Spielregeln nicht so leicht als Plunder und Quatsch verderben lassen und den Suggestionen der autoritären Vereinfacher und der nationalistischen Schwärmer für ein rein „arisches“ Großdeutschland eher widerstanden,

 

dann

 

hätte den Anfängen noch gewehrt werden können. 1935 aber war der Zug der Huma-nität schon abgefahren, Widerstand kostete die wirtschaftliche Existenz oder war gar lebensgefährlich.

 

Nur für diese Lage trifft Alfred Willstatters Aussage zu: „Den meisten blieb doch gar nichts anderes übrig, als mitzumachen”

 

Nun, ein solches eher abstrakt-mahnendes, zeitgeschichtliches Resumé darf in diesem Kreis als weitgehend akzeptiert angesehen werden.

 

Wir Ausstellungsmacher blieben aber nicht beim resumieren, sondern wählten den Weg, Einzel- und Familienschicksale mit ihren biographischen Details nochmals so weit wie möglich lebendig werden zu lassen. Wir wollten, dass Nachdenklichkeit und Mitgefühl aus der Anschauung entstehen können - für Menschen, die des Landes verwiesen und quasi mittellos in eine Fremde mit zunächst unklarem Horizont und ungewisser Zukunft gestoßen wurden.

 

Überzeugen Sie sich nachher selbst, wie weit es uns gelungen ist, bei der gegebenen Quellenlage diesem besonderen Anspruch zu genügen. Wir wünschen uns, dass die Schicksale und die Darstellung der Lebenswirklichkeit unserer vertriebenen jüdischen Landsberger über die Ausstellung hinaus lebendig bleiben.

 

Für den Rundgang durch die Ausstellung gebe ich Ihnen noch ein paar Beispiele, worauf Sie achten könnten:

 

1.   Wie wurde mit dem ehrbaren, soliden und erfolgreichen Kaufmann Max Westheimer umgesprungen, wie hat man den seit 1906 Einheimischen außer Landes bekommen?
Bleiben wir kurz bei diesem bedeutenden Landsberger: Auf allen Fotos, die wir von ihm haben, erscheint Max Westheimer trotz Schikane mit ernster Würde. Von Susan West-heimer, die aus Altersgründen unserer Einladung nicht folgen konnte, erhielt ich erst neulich ein Foto, das ihn stolz lächelnd zeigt, mit seinem ersten männlichen Enkel im Arm.  Es ist Bertholds Sohn Jeffrey Westheimer, geboren im Jahr 1950. Über denselben konnten wir nun erfahren, dass er, ein erfolgreicher Tierarzt, Anfang dieses Jahres ver-storben ist. Da Jeffrey als Jude nicht-jüdisch heiratete und seine Kinder nicht-religiös erzog, ist nun sein Sohn Jamie zwar der einzige Namensträger in der Abstammungslinie von Max Westheimer, aber eben kein Jude mehr. Da würde der Großvater wohl nicht mehr gelächelt haben...
Doch - Individualismus und Säkularisierung in unserer heutigen Welt machen jüdischen Sippen zu schaffen; sie suchen dringend den religiösen Zusammenhalt, um jüdische Identität zu wahren.

 

2.  Was wurde aus der 16-jährigen Landsberger Realschülerin Sitta Schlessinger, die 1938 hier noch ein Austrittszeugnis verpasst bekam und kurz darauf mit ihren Eltern in Chile Fuß fassen musste? Kurios ist, dass erst Argentinien das Auswanderungsziel war. Warum dann das „scharfe S“ im Namen Schleßinger nach Chile führte, das kann Ihnen morgen Abend Wolfgang Schönfeld erzählen. Ich freue mich sehr, dass er den Zugang zu dieser Familie im Exil gefunden hat und ihre Geschichte erforschen konnte. Ronit Haim Kaufmann, die heute unter uns ist, schrieb uns von ihrer Großmutter Sitta, sie hätte sich nicht träumen lassen, dass eines Tages ihre „lovely family“ Gegenstand eines Vortrages sein würde. Sie bezeugt, dass Sitta auch im Alter noch von ihrem Landsberg schwärmte.

 

3.  Die ziemlich verarmte Viehhändlersfamilie Willstätter, wurde ebenfalls zum Auswandern gezwungen, hatte aber das Geld nicht dazu. Wie die Kinder auf abenteuerliche Weise zu Verwandten in den USA vorausgeschickt werden konnten, wie es ihnen über zwei Jahre lang ohne Vater und Mutter ging und wie die Nachbarn später den Eltern zu ihrem Exodus verhalfen, ist eine dramatische, aber auch tröstliche Geschichte inmitten des damaligen Elends. Ohne diese Hilfen säße Alfred Willstatter wohl nicht in unserer Mitte. Einige seiner Onkel und Tanten kamen auf der Flucht ums Leben.

 

4.  Hoch spannend ist auch zu verfolgen, unter welchen Strapazen und mit welchen Hilfen es Frau Kemeter, einer geborenen Simon, die nicht mehr rechtzeitig auswandern konnte, gelang, sich der Verfolgung im Nazi-Deutschland zu entziehen, sich im letzten Kriegsjahr verborgen zu halten und den Zusammenbruch im April 1945 als Befreiung erleben zu dürfen.

 

5.  Schließlich, und das hat mich besonders berührt, das traurige Schicksal von Max Weiman, der als einziger jüdischer Landsberger nach dem Krieg und nach dem Tod seiner nicht-jüdischen Frau im Exil in seinen Heimatort zurückkehrte und wieder Fuß zu fassen suchte. Er heiratete nochmals oder fungierte beispielsweise noch Ende 1952 als Wiedergründungsmitglied der Feuerschützen, doch verstarb er schon ein halbes Jahr später – entwurzelt. Vielleicht betrifft Sie das beim Nachvollzug seiner Biographie auf der Ausstellungstafel gefühlsmäßig ebenso.


In einer Broschüre, die Herr Rößle und ich erstellt haben und in der wir alles auf den neuesten Stand gebracht haben, ist auch die Geschichte von Max und Babette Weimann ausführlicher und mit mehr Bildern dargestellt. (Sie können die Broschüre während der Ausstellung zu den Öffnungszeiten und auch gleich anschließend unten für vier Euro erwerben. Später kann sie auch noch per E-Mail an mich bestellt werden.)

 

Ich fasse zusammen, komme zum Schluss:

 

Im geschilderten Sinne und nach der geleisteten und weiter fortzuführenden Erinnerungs-arbeit dürfen wir nun endlich etwas unbefangener unseren Landsberg-stämmigen Juden von 1938, sofern sie noch leben, aber auch ihren zahlreichen und weit verstreuten, mit-wirkenden Nachkommen auf Augenhöhe begegnen.

 

Aleida Assmann, heuer mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, spricht von der guten Möglichkeit des „dialogischen Erinnerns“. Täter- und Opferseite einer traumatisierenden Gewaltgeschichte teilen Erinnerungen in einem gemeinsamen Gedächt-nisrahmen. Das ergibt positive Rückwirkungen für beide Seiten. Vornehmlich an die Adres-se der heutigen Landsberger gerichtet, schrieb auch Al Willstatter schlicht und wahr:

 

„People have to remember what happened so it can’t reoccur.”

 

Aus der Geschichte könne man nicht lernen? Ich erinnere an die drei „hätte-Konditionen“ unter denen das Furchtbare zu Beginn der 30er-Jahre noch zu vermeiden gewesen wäre.  Dazu hat auch Ingeborg Bachmann einmal gesagt „Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.“

 

„Unseren Alfred“, darf ich etwas familiär sagen, denn er ist nach eigener Aussage ja immer Landsberger geblieben, treibt ein Anliegen um, „to pass the torch on“. Die Zielsetzung unserer Ausstellung kann nicht besser umschrieben werden:

 

Lasst uns als Fackelträger die Flamme der aufgeklärten Menschlichkeit bewahren, weiterreichen und die Dunkelheit menschlicher Abgründe rechtzeitig erhellen!

 

Vielen Dank!