Karl Heichele, Pfarrer in Lindenberg/Buchloe

Pfarrer Heichele vor der alten Schule in Lindenberg bei Buchloe mit (v.l.n.r.) Gudrun Bauer und kleinere Schwester Elisabeth, Hildegard Scheifele, Gerti Degenhart und Gisela Dittrich.

Abschließende Würdigung

Diese Lebensbeschreibung ist auf dem Hintergrund längst vergangener Zeiten zu lesen. Ein Leben wie das des Landpfarrers Karl Heichele wird es hier und heute wohl nicht mehr geben. Es vollzog sich noch unter gesellschaftlichen Verhältnissen, die sich Jüngere unter uns kaum mehr lebhaft vorstellen können. Die früheren wie die heutigen Lebensbedingungen beeinflussen jedoch jeweils die Art und Weise, wie sich der Mensch in der Welt fühlt.

Es ist nicht banal festzustellen, dass innerhalb von 100 Jahren „die Welt sich verändert hat“, mehr noch, die Häufigkeit von Veränderungen nimmt in immer kürzerer Zeit zu und führt zu zweischneidigen Lagen:

·     Insofern wird die Ruhe und Beschaulichkeit, die man „alten Zeiten“, sagen wir, bis zum Beginn des 1. WK nachsagt, nie wieder erreichbar sein. / Auf die damalige Härte der vorherrschenden Handarbeit und auf die sehr bescheidenen Lebensverhältnisse auf dem Lande verzichten wir aber gerne.

·     Ein weiterer markanter, hier relevanter Unterschied betrifft die Unterordnung unter staatliche und kirchliche Autoritäten im Obrigkeitsstaat - früher / und den viel gefeierten und schlicht geforderten individuellen Freiheitsanspruch in demokratischen Verhältnissen - heute.

·     Dazu fügt sich der unhinterfragte Alleinanspruch des Klerus auf Dogmenverwaltung gegenüber dem Kirchenvolk - früher / und die Unbekümmertheit „aufgeklärter Bürger“, sich in Glaubensfragen selbst bestimmen zu wollen - heute.

·     Leicht vergessen wird, wie eine Kirchengemeinde, als Herde oder Schar aufgefasst, dem Gemeinschaftsbedürfnis sehr entgegen kam - früher, / dass aber v. a. jüngere Menschen umherirren und die seltsamsten Wege gehen, um Anschluss in einer Gruppe und werthaltige Vorbilder zu finden - heute.

·     Fügt man die Veränderung der öffentlichen Kommunikation noch hinzu, kommt man aus der Verwunderung kaum mehr heraus: Mit der Schelle ausgerufene amtliche Verlautbarungen, nach der Sonntagsmesse noch in der Kirche vom Bürgermeister Verlesenes und sonntägliche Lektüre der Heimatzeitung  - bis etwa 1930. / Überangebot bei den Unterhaltungsmedien, stündliche Nachrichten aus aller Welt, Werbedruck auf Schritt und Tritt, zwanghafter Gebrauch des Smartphones, um ja nichts aus seiner/ihrer „Blase“ zu versäumen – im Sommer 2021.

Warum lohnt sich dennoch der Blick auf einen Landpfarrer, der noch vor der Öffnung der Kirche für die moderne Welt  im 2. Vatikanischen Konzil gewirkt hat? Er eröffnet Vor-Bilder und Verhaltensmodelle für ein besonnenes, gelassenes Leben auch heute. Man kann aus der Geschichte durchaus lernen; sie lehrt ständig, man muss ihr nur richtig „zuhören“!

Es fällt dann die überdeutliche Gehorsamshaltung des Priesters Heichele gegenüber seiner kirchlichen Obrigkeit in Augsburg auf. Es scheint, als habe er dabei ein Stück Persönlichkeit aufgegeben; doch kann man auch annehmen, dass dieses selbstlose Zurücktreten ihm eine amtliche Aura verliehen hat, die kaum angreifbar war. Im so geschützten Wirkraum konnte die Person Karl Heichele umso eher ihre Eigenart und Kompetenz ausprägen und er konnte für die eine oder andere Besonderheit geschätzt oder kritisiert werden – ohne Respekt zu verlieren.

Welche Wesenszüge haben nun zu des Pfarrers eigener, priesterlicher Wirksamkeit beigetragen? Nach seiner hier erschlossenen Biographie sind es zwei Leuchten, mit denen uns Karl Heichele auch heute noch den Weg weisen kann - die Leuchte echter Mitmenschlichkeit und die Leuchte aktiven, eigenhändigen Einsatzes für Verbesserung und Verschönerung der Kirche am Ort.

Barmherzigkeit war ein Leitstern seiner geistlichen Führung, Menschen so anzunehmen, wie sie nun mal sind. „Es ist was es ist“, sagt die Liebe (nach Erich Fried).

Inspirierte Tatkraft war seine Leitlinie. Wer, wie Pfarrer Heichele, „sein Kirchlein“ als des Priesters Braut ansieht, kann viel Motivation und liebevolle Sorge daraus ableiten. Es ist wirklich erstaunlich, was er auf seinem Weg in schwierigsten Zeiten und gegen viele Widerstände alles veränderte oder neu schuf, für sich, seine Kirche und die jeweilige Schar der Gläubigen.

In der Seelsorge pflegte er einen Stil, der ohne Höllenhunde auskam. Als „Guter Hirte“ einer religiösen Herde wirkte er auf seine Schäflein ohne Angsteinflößung. Für ihn trat nach dem Tod eine gute Erlösung ein. Selbst bei extrem Fehlgeleiteten wäre nach ihm die Rückkehr möglich mit einem einzigen, echt reuig gesprochenen „Jesus, Jesus, tausendmal Jesus!“  

Pfarrer Vogg aus Oberthingau hatte beide Fackeln von Heicheles Menschlichkeit erkannt, hochgehalten und bei der Beerdigung meines Erachtens stimmig in Worte gefasst:

„In ihm ist alles erfüllt, was das Volk heute von einem Geistlichen erwartet, vornehmlich echte Frömmigkeit und aufopfernde Tat.“

 

aus: Volker Gold, "KARL HEICHELE, 1881 - 1954, Lebensweg des letzten Pfarrers von Lindenberg. Notizen aus unseligen Zeiten", erschienen in Buchloer Historische Hefte, Nr. 7 - 2021, des Heimatvereins Buchloe und Umgebung e.V. (zu beziehen gegen Versandkostenpauschale von 5 Euro beim Autor)

 

Im August 2021 erreicht den Autor die Zuschrift eines ehemaligen Pfarrers, der diese Zeiten als Jugendlicher selbst miterlebt hat:

 

"So waren sie, die Pfarrer des letzten Jahrhunderts: fromm, sehr fromm, und fleißig, sehr fleißig. Was dieser Mann alles fertig brachte, immerhin war er gesundheitlich angeschlagen. Ich meine, meinen geistlichen "Vater", Pfarrer Kolb, vor mir zu sehen. Die Kinder auf der Straße gingen dem Herrn Pfarrer entgegen, um ihn mit einem "Gelobt sei Jesus Christus" zu grüßen. Ganz "Fortschrittliche" gab es dazumal auch schon. Den Pfarrer kommen sehen und blitzschnell hinter einer Hausecke verschwinden.

Dass so ein Priester ein Leben lang in Erinnerung bleiben kann, einen Menschen formt und prägt... Wer die Arbeit liest, hat Grund genug, mit diesem "Stoff" nachdenklich umzugehen."