Ankunft des "Retters" am Kriegsschauplatz

Diese vier Seiten im Buch habe ich ein wenig literarisch ausgeschmückt, ohne den historischen Gehalt zu verfälschen, einfach um mehr Leselust zu erwecken.

 

Es ist ein passabler Novembertag im Jahr des Herrn 1660. Eben dockte im Hafen von Lisboa endlich das Schiffsgeschwader an, das dort von viel Volk und Abgeordneten des Königshauses sehnlichst erwartet wurde. Den Schiffen entsteigen schmucke Offiziere mit Pferden und Kriegsgerät, allen voran ein prachtvoll gewandeter Herr mittleren Alters mit langer, blonder Perücke (oder sind das etwa seine natürlichen Haare?), begleitet von zwei Jünglingen und einem eher dunkel wirkenden Edlen, wohl dem Conde de Soure, der den Ankömmlingen den Weg weist und sie für das Empfangskomitee orientiert. Insgesamt entströmen den Bäuchen der Karavellen an die 700 Mann, darunter circa 80 Kavallerie-, Artillerie- und Pionier-Offiziere, wie Kenner unter den Zuschauern schon wissen oder leicht feststellen können. Dass diese Schonberg in einem Modell-Regiment für die Ausbildungsarbeit im portugiesischen Heer dienen sollten, das wissen sie allerdings so genau noch nicht.

 

Ein Teil von ihnen, so heißt es, sei vor vierzehn Tagen im französischen Le Havre heimlich an Bord gegangen. Dieses Versteckspiel sei schließlich nötig geworden, da der spanische Gesandte am Pariser Hof von dem Manöver Wind bekommen hatte, das, man muss das zugestehen, gegen Buchstaben und Geist des jüngst beschlossenen Friedensvertrages verstieß. Zwischen Frank-reich und Spanien wurde doch dieser unsägliche „Pyrenäen-Frieden“ geschlossen, der eine wei-tere Unterstützung Portugals verbot. Spaniens Gesandter hatte sofort und heftig gegen diese Vertragsverletzung protestiert, so dass Frankreich diesem Protest nachgeben und ein Dragoner-regiment wieder einziehen musste, das für Portugal schon angeworben, zusammengestellt und ausgerüstet worden war, ja, es erlaubte sogar die Verhaftung dessen Anführers, den wir nun aber glücklicherweise vor uns haben.

 

Dieser wird gerade an der Kaimauer den Repräsentanten des Königshauses und des Hofadels vorgestellt, die zum Empfang gekommen sind. Zwischen Fanfarenstößen und Ehrensaluts parliert man auf beiden Seiten auf Französisch und es fällt auf, wie sicher und gewandt der Conde sich in solchen Kreisen gleich zu bewegen weiß. In offenbar voller Überzeugung der Legitimität der französischen Hilfsmission für den portugiesischen König hat sich dieser Schonberg und seine beiden Söhne mitsamt seinem Offizierscorps entsprechend würdevoll einkleiden lassen. Das Kleid des Generals ist aus dichtem Samt, das gut und gerne 45 Pariser Gulden die Elle ge-kostet haben dürfte. Es ist zudem so bestickt, dass man kaum einen Finger breit das Tuch sehen kann, und auf diesen leeren Raum sind auch noch goldene Spitzen aufgenäht. Auch die Kleider der beiden Jünglinge sind über und über mit goldenen und silbernen Spitzen besetzt. Selbst die Röcke der Trompeter sind noch aus rotem Samt und ganz mit Schnüren verbrämt, und man mag – obwohl man selbst ja nicht gerade in Lumpen herumläuft - gar nicht daran denken, was die übrigen Livreen mit ihren Zierbändern gekostet haben mögen.

 

Dies alles macht immer noch großen Eindruck beim Volk und auch bei den Adligen, die sich nun mit den ausländischen Gästen auf die wartenden Kutschen hinbewegen, um sich erst einmal einige Tage in einem Lustschlösschen etwas außerhalb der Stadt zu akkommodieren und bewirten zu lassen. Danach ist dann eine öffentliche Audienz beim jungen König und der regierenden Königin-Mutter in der Residenz vorgesehen und anschließend eine öffentliche Musterung der mitgebrachten Truppen. Der illustre Zug setzt sich in Bewegung durch Straßen, die angefüllt sind mit Volk, das den berühmten Deutschen sehen und ihm zujubeln möchte als dem ersehnten Retter in Not.

 

Befragt man Kundige unter den Versammelten, woher der gute Ruf des Ankömm-lings stamme, so heißt es meist: „Von den Dünen“. Gemeint ist das Schlachtfeld nahe Dünkirchens, wo Turenne und Schonberg noch im Juni 1658 den Spaniern eine Niederlage beigebracht hatten und wofür letzterer zum Feldmarschall ernannt worden war. Und woher nahm er die vielen glänzenden Offiziere? Bei diesen handelt es sich um Frankreichs Tüchtigste, die durch den Frieden, zu dem sich Spanien bequemen musste – Resultat also ihrer eigenen Kriegskunst und Fortune - arbeits-los geworden waren. Natürlich destiniert ihn mehr als dieser Spanien niederzwingen-de Sieg zu einer so gewagten Aktion fern von Frankreich. Das wusste auch Kardinal Mazarin, der schlaue politische Fuchs, der die Akte Schonberg verwaltete.

 

Die Vita Schonbergs war in europäischen Hof- und Militärkreisen in groben Zügen bekannt. In der "Personalabteilung" Louis’ XIV. könnte sie wie folgt verfasst gewesen sein:

 

Frederic Armand Cômte de Schomberg (Schönburg, Schönberg, Schonberg?)

 

Als einziger Sohn eines calvinistischen Militärdiplomaten in kurpfälzischen Diensten und einer englischen Mutter (diese stirbt bei der Geburt, jener ein Jahr später) erhielt Friedrich Graf von Schönberg, im Dezember 1615 auf der Schönburg bei Oberwesel geboren, unter der Obhut seiner Großmutter (Dorothea Riedesel von Bellersheim) eine für seine Adelsherkunft und seine Konfession typische Erziehung an der Akademie in Sedan und an der Universität Leiden. In Sedan stand er unter der Obhut der Herzogin von Bouillon, wo er auch deren Sohn, den nur vier Jahre älteren Henri de Turenne kennen lernte. Eine militärische Karriere war bei seiner Abstammung und der Verstricktheit der Kurpfalz zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges fast unvermeidlich und so erfuhr er ab 1633 seinen praktischen Einsatz in der Armee des Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien.

 

Ab 1634 diente er in der schwedischen Armee unter Bernhard von Sachsen-Weimar und war bei der Schlacht von Nördlingen am 28. 08. im Pfuhl’schen Infanterie-Regiment auf der Verlierer-seite dabei. Als Marschall Josias Rantzau für die französische Krone ein Infanterie-Regiment anwarb, verließ der junge Schonberg die Allianz der Verlierer und beteiligte sich gegen den Widerstand seiner Familie (er war der einzige männliche Nachkomme in der protestantischen Linie) zum ersten Mal mit einer auf eigene Kosten zusammengestellten Kompanie. Bei den ersten Kampf-einsätzen (bei Calais) zeichnete er sich gleichermaßen durch Umsicht, Tapferkeit und Bescheidenheit aus und machte sich durch vielseitige Sprachkenntnisse nützlich. Wegen seines Einsatzes für Frankreich (gegen das habsburgische Spanien) wurden vom Kaiser seine kurpfälzischen Stammgüter beschlagnahmt, was zu relativer Verarmung führte. Eine erste Niederlage in Westfalen und die wohl moralisch belas-tende Konfrontation mit bewaffnetem Landvolk in Ost-Friesland brachte ihn vom Kriegshandeln wieder ab. Er zog sich auf seine verbliebenen Güter zurück und sicherte sich durch Heirat seiner Cousine Johanna Elisabeth von Schönburg-Wesel den Rest des Familienerbes. Seine Frau sollte ihm im Laufe der Jahre sechs Söhne gebären – alle, bis auf einen, ebenfalls auf eine militärische Karriere brennend. (Spätere Eintragung: Friedrich und Meinhard begleiten ihn bei seiner portugiesischen Mission, Carl kommt später dazu.)

 

Bis zum Tode des Statthalters, Prinz Willem II. von Oranien (1650), der mit seinen Ständen in Amsterdam ständig verquer lag, war Schönberg dessen engster Vertrauter. Auch danach kümmerte er sich um dessen Witwe Mary aus dem Hause Stuart, die Schwester des englischen Charles, der ihn als einen Freund betrachtete. Da die politische Stimmung sich nun aber vollends gegen die Statthalter wendete, sah Schönberg nun auch in den Niederlanden keine Perspektiven mehr und wechselte 1651 in französische Dienste direkt unter Marschall Turenne, der zu der Zeit gegen den in der Fronde organisierten aufständischen Adel kämpfte. Hier machte er als Turennes militärischer „Ziehsohn“ und calvinistischer Glaubensbruder schnell Karriere (Generalleutnant 1655).

(Eintrag auf beigeheftetem Blatt: Seine gute Bewährung an der Seite des Königs in der Schlacht bei den Dünen wird hier und heute schon einmal vermerkt. Eine Abschrift dieser Akte ist auf dem Botschafterweg an den König von Portugal ergangen.)

 

Beiblatt (nicht zur Weitergabe bestimmt)

 

Msr. Schomberg hat ein einnehmendes Wesen und eine sympathische Physiognomie zusammen mit äußerst kultiviertem Benehmen. Seine Umgangsformen gegenüber jedermann sind von Klugheit und Würde bestimmt. Seine Heiterkeit und sein guter Humor wirken ansteckend. Er würzt Unterhaltungen mit interessanten Erzählungen und auch pikanten Anekdoten. Man würde ihn gerne für katholisch halten. Die sanften Bemühungen um seine Konversion gehen weiter…

 

Militärisch zeichnet er sich durch unermüdlichen Fleiß, kaltes Blut in bestimmten Situationen und Bescheidenheit bei errungenen Erfolgen aus. Exzellenter Reiter. Sehr fachkundiger Belagerer. Von ihm stammt der Ausspruch „Ein General muss zwar alle Abende die Arbeit des nächsten Tages befehlen, er muss aber auch täglich wenigstens dreimal mit seinen eigenen Augen sehen, wie das befohlene Tagwerk vollzogen wird.“

 

Anmerkungen zur Biographie und zum Söldnertum Schonbergs

 

Was den Schreibstubenhengsten der Personalabteilung zur Person ihres Generals nicht so bekannt sein dürfte ist, dass er schon immer an seiner calvinistisch-religiö-sen Ausrichtung festhielt, auch wenn er Nachteile zu befürchten hatte. Man darf annehmen, dass Schonbergs Treue zum Protestantismus mit seiner Geburt in der Hochburg des deutschen Calvinismus, der Pfalz, zu tun hat und dass viele seiner Vorfahren ebenfalls treue Calvinisten waren. Einer von ihnen, Caspar von Schön-berg, wurde als vom Calvinismus zum Katholizismus Konvertierter Ende des 16. Jahrhunderts dazu eingesetzt, das Edikt von Nantes auszuarbeiten, wobei er sich unglücklicherweise zwischen alle Stühle setzte. Vielleicht ist unser Schonberg gene-rationsübergreifend von einem solchen Familientrauma noch berührt? Ganz sicher aber ist sein ausgeprägter Ehrbegriff darauf zurückzuführen. An erster Stelle steht die Religion, an zweiter das gute Gewissen und die Ehre (der Familie). In einem Brief an seinen Sohn Meinhard, in dem er ihm einen Auftrag gegeben hatte, drückte er dies einmal so aus: „Ich bete zu Gott, dass ich Sie inspiriert habe, das auszuführen, was ihm angenehm ist für seinen Dienst, seinen Ruhm, unser Wohl und die Ehre unseres Hauses.“

 

Dies muss hier eingangs herausgehoben werden, da „Söldner“ heute in unseren Ohren einen unangenehmen Beiklang von klingender Münze und Grundsatzlosigkeit hat. Seit dem ausgehenden Mittelalter war es aber üblich, im jungen Adel nach Offizieren zu suchen, und zwar nicht erst für aktuelle Kriegszüge, sondern auf Dauer für ein bereitstehendes Heer. Bei den offensiven und defensiven Winkelzügen der europäischen Diplomatie, die von den verschiedensten Herrscherhäusern ausgingen (hier sollte man noch mehr nach Moral forschen!), konnte sich ein geworbener Offizier, der sein Kriegshandwerk gelernt hatte, verständlicherweise nicht auf Dauer an seiner ersten Stelle halten. So bildete sich der Brauch heraus, sich unabhängig von patriotischen oder nationalen Zugehörigkeitsgefühlen vertraglich auch fremden Heeren zu verdingen, also ganz unabhängig davon, was der Kriegsgrund war oder wie fern vom eigenen Herkunftsland der Dienst ausgeübt wurde. Das Söldnerwesen war so verbreitet und gut eingeführt, dass Holland ab 1663 sogar einen Versiche-rungsschutz für die verpflichteten Soldaten aller Provenienzen schuf.

 

Schonberg war in dieser Hinsicht einerseits ein typischer, andererseits aber auch ein besonderer Fall. Er diente für Schweden, Holland und Frankreich, ehe er - verdeckt in französischem Auftrag - in Portugal zu arbeiten begann; und was danach kommt, steht für den Leser noch in den Sternen. Ganz ohne Identifikation mit dem obersten Kriegsherrn, meist dem König selbst, ging es jedoch auch bei einem Söldnergeneral nicht ab. Das einigende Band für alle Aufträge, die Schonberg annahm, war der Kampf gegen das erzkatholisch verhärtete und intolerante Spanien. Nie hätte er für diese Seite kämpfen wollen; dagegen stand seine Ehre.

 

Natürlich gibt es zu dieser Abneigung gegen die spanischen Habsburger eine Vor-geschichte. Karl V., der auf seinem Totenbett noch bereute, diesen Luther nicht gleich kassiert zu haben, hinterließ seinen Erben, den verschiedenen Felipes, ein großes Reich, das nur schwer zusammenzuhalten war. In diesem Fall, wie auch sonst und überall, ist eine gemeinsame Religion ein wichtiger Kitt. Die weltliche Macht profitiert von der geistlichen und umgekehrt. Politische Aufrührer lassen sich als Ketzer brandmarken und Ketzer wurden nach weltlichen Gerichtsfarcen verurteilt und unter den Augen der weltlichen Macht hingerichtet. Bereuten sie zuvor noch, wurden sie gnädigerweise noch rasch vorher erwürgt oder es kam das Schwert zum Zuge; bereuten sie nicht, wurden sie lebendig verbrannt – natürlich nicht, ohne vorher noch ordentlich gefoltert zu werden. Ein finsterer Beginn unserer Neuzeit. 1600 ging es noch dem großartigen Giordano Bruno in Italien so und erst 1834 wurde die Inquisition in Spanien abgeschafft). Da aber auch die Protestanten mit Glaubensabweichlern – zumindest zu Calvins Zeiten - nicht sanftmütiger umgingen, kann Schonbergs Aversion gegen das Habsburgertum auf der Iberischen Halbinsel allein damit nicht erklärt werden.