Minna Fischel
Minna Fischel
Minna Fischels Schreiben an die schon in den USA weilenden Willstätter-Buben
Minna Fischels Schreiben an die schon in den USA weilenden Willstätter-Buben

Familie Fischel im Vorderanger 207

 

Minna Fischel, eine am 16.12.1875 geb. Meissner aus Schildberg/Posen war zur NS-Zeit staatenlose Witwe des eingebürgerten Kaufmanns Adolf Fischel. Aus dieser Ehe stammten die drei Töchter Herta, (Char)Lotte und Edith. Nach dem Tod ihres Mannes, am 24.05.1934, war sie Alleininhaberin eines Herrenmodehauses, das 1927 für 31.500 RM erstanden worden war. Der Vorbesitzer war Elektro-Rahm; in Zukunft sollten Landsbergs Männer dort bevorzugt ihre Anzüge kaufen.

 

Walter Drexl erzählt, dass sie als Jüdin jedes Jahr mehrere katholische Buben aus bedürftigen Familien kostenlos zur Erstkommunion ausgestattet habe (analog zur Kleidungsbeihilfe durch den Katholischen Frauenbund). Für die eigene existenzielle Sicherheit in Landsberg angesichts einer sich ab 1935 drastisch verstärkenden Hasswelle gegen Mitbürger jüdischen Glaubens oder „Rasse“ brachte diese selbstlose Großherzigkeit allerdings nichts. Auch diese würdige Dame mit ihrer elegant geschwungenen deutschen Schrift wurde in ihrer Stadt für „unerwünscht“ erklärt.

 

Reisevermerke in ihrem Pass legen nahe, dass sie bei ihren „Erholungsreisen“ 1935 über den Brenner nach Italien und 1938 über Chiasso nach Italien sich nach Auswanderungsmöglichkeiten erkundigt hat. Von April bis November 1938 ließ sie sich von der Augsburger Agentur des Norddeutschen Lloyd monatlich gebührenpflichtig „Freigrenze“ eintragen. Vor ihrer Auswanderung wurde Frau Fischel wie üblich behördlicherseits schikaniert: Im März 1938 wurde ihr die Reichszugehörigkeit aberkannt; im Januar 1939 musste auch sie nach ihrem Vornamen den Zusatz "Sarah" führen und vor ihrer Auswanderung noch 3% von ihrem verbleibenden Vermögen, das sich auf 48.865,90 RM belief, zur "Förderung der Auswanderung unbemittelter Juden" abführen.

 

Hans Hecht, Kaufmann aus Göggingen, übernahm das Geschäft „auf Drängen des jüdischen Vermittlers Justin M. aus Augsburg“ am 21.10.1937 zum Preis von 58.300 RM, teils bar, teils auf Raten. Das Warenlager wurde am 15.11.1938 für 22.000 RM bar abgelöst. Am 13.11. d. J. setzte der Käufer (dem damaligen Ungeist entsprechend) eine Arisierungsanzeige in die Landsberger Zeitung. Die Überprüfungen nach 1945 ergaben keine Unkorrektheiten. Der Käufer musste als Voraussetzung für den käuflichen Erwerb angeblich zuvor in die Partei eintreten und hatte den Ärger, ab 15.11.1945 für mehrere Jahre die Hälfte der Geschäftsräume dem baltischen Juden Bernhard Pickert vermieten zu müssen, einen ehemaligen jüdischen KZ-Häftling (DP), der sich im Vorderanger 281 privat niedergelassen hatte und ein Tausch- und Kommissionsgeschäft betrieb. Diese Konstellation ging nicht gut.

 

Am 25.05.1939 reiste Minna Fischel mit dem Ziel New York/USA von Landsberg ab. Das jüdische Emigrantenblatt „Aufbau“ meldete am 01.07.1939 die Ankunft von Frau Minna Fischel aus Landsberg an erster Stelle.

 

Ihre älteste Tochter Herta Fischel wurde am 14.05.1900 in Egeln geboren. Sie zog am 12.04.1920 von Landsberg nach Breslau und heiratete dort am 01.05.1926 Alfred Cohn. In zweiter Ehe wurde sie 1935 die Ehefrau von Max Westheimer. Die zweite Tochter Charlotte Fischel, geb. am 05.11.1901 in Bielitz/Böhmen, verheiratete sich am 10.12.1928 in München mit Karl von Sandt; diese Ehe wurde jedoch für nichtig erklärt. Im Mai 1934 zog sie nach Mailand/Italien, wo sie sich verheiratete und von dort aus später nach Seattle/USA, wo sie einen Mr. Stern heiratete. Von Tochter Edith Fischel, geb. am 30.01.1903, ist bekannt, dass sie am 28.10.1923 nach Augsburg umzog und dort Hugo Buxbaum heiratete. Sie wird wohl von dort aus mit ihrer Mutter und deren Bruder nach New York/USA zwangsweise emigriert sein.