Die letzten Kriegstage im Dorf

Der Januar - das müsste auch die Schwabhausener Schulkinder gefreut haben - war schulfrei in Bayern, da die Weihnachtsferien als "Kohleferien" bis 29. 1. verlängert wurden. Auch danach gab es keinen geregelten Unterricht mehr, oder will man wöchentliche "Schulappelle" an Volksschulen dazu rechnen?

 

Die Eltern mussten aufgrund einer großangelegten "Volksopfer"-Wer-bung derweil ihre Schränke und Tru-hen durchsuchen. "Hast du nicht noch Sachen liegen? Opf’re sie! Sie helfen siegen!" Die Leute müssen das so missverstanden haben, dass sie nur entbehrliche Sachen herge-ben brauchen. Anfang Februar, die Aktion wurde noch verlängert, wur-de in der Landsberger Zeitung nach-gelegt: "Jeder muss das opfern, was er nicht täglich in Gebrauch hat!" Vor allem Textilien, Teppiche und Faserstoffe sollten (ohne Quit-tung) abgeliefert werden. Tatsäch-lich sollen sogar Musikkapellen ihre traditionsreichen Uniformen ge-schlossen den Soldaten an der eisigen Front geopfert haben.

 

Über Schwabhausen (wie auch über andere Dörfer) ist in der Landsberger Zei­tung außer zwei "Heldenbestattungen" (H. Habersetzer, G. Mutter) und einige Tausch-angebote ("Motorkabel gegen Ziehharmonika", "Zwei Läufer gegen Schlacht-schwein") nichts zu entnehmen.

 

Dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, muss auch auf dem Dorf immer mehr Leuten zur Gewissheit geworden sein. Durchhalteappelle und Drohungen ("Schlagt Schwätzer aufs Maul!" Die Landsberger Zeitung meinte, man solle Leute anzeigen, die nicht fraglos kämpften und arbeiteten) müssen ab einem Punkt ihre Glaubwür­digkeit verloren haben, von dem an sich die die Realitäten offensichtlich ganz anders darstellten: Einstellung von Bahnfahrten über 75 km Entfernung, Beschränkung der Postbeförderung auf Karten, Flüchtlingsströme aus den Ostgauen des Reiches, Empfehlungen für Verdunkelungen und für das Verhalten bei Tieffliegerangriffen, immer neue Ermahnungen zum Einteilen und Rationieren ...

 

Für Schwabhausen entscheidend war der Aufbau des Volkssturms, eines pa­ramilitärischen Gebildes aus Jugendlichen, alten Männern und einsetzbaren Frauen. Seine Mitglieder waren in allem denen der Wehrmacht gleichgestellt, sie sollten als letztes Aufgebot heimatnah (im Umkreis von 10 km) gegen den ein­brechenden Feind eingesetzt werden. So fanden auch hier trotz vieler Einwen­dungen aus der Dorfbevölkerung Vorbereitungen statt, den Ort mit Hilfe des Volkssturms zu ver-teidigen. Es hieß sogar (6), dass eine Kampfeinheit der Waf­fen-SS in Schwabhausen ein Widerstandszentrum gegen die anrückenden alli­ierten Armeen aufbauen wollte. Josef Vogt musste wegen einer öffentlichen Auseinandersetzung an einer Volks-sturmübung in Wörgl/Tirol teil­nehmen. Als er am Samstag vor Palmsonntag davon wieder zurückkam, sollte er gleich wieder zu einer anderen gehen. "Ganga bin i niacht" - eine riskante Weigerung. Rudolf Jakob, als Volkssturmführer, wollte den Ort zunächst noch unter Einsatz auch von Frauen (in Richtung Gelten-dorfer Wald) verteidigen und den anrückenden Ameri­kanern (am Bach) den Weg mit alten landwirtschaftlichen Maschinen versperren. In der darauffolgenden Karwoche ließ sich der Volkssturmführer aber umstimmen (Vogt: "Ja Du, was wollen die da? Da kannst Du selber hingehen! Hast kein Wasser, kein Licht, keinen Teufel und kei-nen Herrgott!") Am Ostermontag, den 2. April hieß es, dass die Ortschaft nicht verteidigt und die Übungen dazu beendet würden.

 

Vor allem durch "Mundreklame" der zurückströmenden Truppen erfuhr die Bevöl­kerung Einzelheiten von der schon besiegelten Niederlage. Aber auch bei sol­chen Gesprächen war Vorsicht geboten und am ehesten konnte man in den Ein­ödhöfen (z.B. in der Dampfsäge) frei sprechen. Außerdem riskierten einige, beim Abhören von Feindsendern ertappt zu werden. Nachts um 23 Uhr breitete man ein Tuch über den Volksempfänger und stellte Radio Belgrad ein. Dort konnte man konkret erfah-ren, dass die Amerikaner und Franzosen den Landkreis erreicht und dann die Stadt Landsberg eingenommen hatten. So war es nur zu ver­ständlich, dass man ab die-sem Zeitpunkt weiße Tücher zum Zeichen der kampflo­sen Übergabe zu den Fen-stern hinaushängte. In einigen Fällen geschah dies aber noch zu früh:

 

Als die drei in der Dampf säge allein zurückgebliebenen Frauen ihre Tücher schon draußen hatten, kam eine zurückweichende deutsche Flak-Kompanie herein und die weißen Tücher mussten wieder heruntergenommen werden. Am 26. 4. musste sich aber auch diese Einheit auflösen. Frau Hipp hörte mit: "So, Männer“, sprach der Leutnant in der Küche des Anwesens Fichtel, „Jetzt ist es aus, jetzt lösen wir uns auf. Es besteht kein Ausweg mehr. Jeder kann sich seiner Uniform entledigen und das Weite suchen“. (7)

 

Für Soldaten war es das Beste, ihre jeweilige Heimat aufzusuchen und sich dort erst den Siegermächten zu stellen. Aus diesem Grund bestand große Nachfrage nach neutraler Kleidung. Die meisten tarnten sich als Landarbeiter. Wer Glück hatte, kam zu einem Fahrrad (3), wer Pech hatte, wurde von linientreuen SS-Sol­daten gestellt. Noch in den letzten Kriegstagen wurden solche „Fahnenflüchtige“ einfach erschos-sen oder - wie mehrfach aus der Gegend in Richtung Utting be­richtet wird - am nächstbesten Baum erhängt.

 

Am 26. April erschien auch die Landsberger Zeitung mit ihren Beschwörungen eines Endsieges für Großdeutschland zum letzten Mal. Am Freitag, den 27. 4. drangen Teile der VII. US-Armee in den Landkreis ein, um 8.45 Uhr erreichten sie die Stadt Landsberg. Gleichzeitig war dies ein entscheidender Tag für die Ge­meinde Schwab-hausen. Kurz vor der Ortschaft wurde auf den Bahngleisen von US-amerikanischen Jagdbombern ein Judentransport angegriffen, bei dem es viele Tote und Verletzte gab. Von den näheren Umstände speziell dieser Tragö­die handelt diese Schrift.

 

Die Situation im Ort war deswegen sehr bedrohlich, da immer noch ein gutes Dutzend fremde SS-Leute im Ort postiert war und mit Maschinengewehren die Amerikaner erwartete. Durch einen geschickten und listenreichen Einsatz des orts-ansässigen Arztes, Dr. Philipp Arnold, soll es gelungen sein, diesen den Durchhalte-willen zu nehmen und sie am 28. 4. nachmittags, also einen Tag nach der Beschießung des Judentransports zum Verschwinden zu bewegen.  "Meine Herrn“, soll Dr. Arnold in festem Ton gesagt haben, "ich komme soeben zurück von einer Dienstfahrt als Arzt. In Geltendorf stehen schon die Amerikaner. Die können in einer Stunde da sein. Was wollt Ihr denn hier noch?" Die hätten einander angeschaut und wären so plötzlich verschwunden, wie im Erdboden versunken. Auch drei SS-Posten, die auf einer Heubühne lauerten, waren danach nicht mehr zu sehen. (1)

 

Dass die Amerikaner am 28.4. St. Ottilien besetzten, ist bezeugt (17). Am Tag darauf, die Amerikaner kamen immer noch nicht, wurde J. Vogt vom Bürgermei­ster Sedlmaier und Dr. Arnold auf den Kirchturm geschickt, um die weiße Flagge zum Zeichen der kampflosen Übergabe zu zeigen. Es war ihm aber zu kalt, so dass schließlich am 30. 4. der Bürgermeister selbst kurz vor dem Eintreffen der Ameri-kaner, von dem man über Dr. Arnold wusste, die weiße Flagge zeigte.

 

Die amerikanischen Soldaten rückten von Geltendorf her in die Ortschaft ein. Nach ihrer Ankunft mussten alle Männer der Gemeinde sich beim Wirt im Hof versam-meln. Otto Pfab, der bisher auch 2. Bürgermeister war, wurde seines Am­tes ent-hoben. Pfab und Jakob sollen noch durchaus richtig geäußert haben "Die ganze Macht ist uns genommen!" Stattdessen bestimmte nun Dr. Arnold (!) Josef Vogt für dieses Amt, damit der erste Bürgermeister eine Unterstützung haben sollte. Der US-Captain Otto B. Raymond, ein Deutsch-Amerikaner, nahm vorübergehend Quartier bei Dr. Arnold. Für die Bevölkerung bestand ab sofort Ausgangssperre von 19 Uhr bis 5 Uhr in der Frühe und Versammlungsverbot.

 

Am Nachmittag dieses 30. April erschoss sich der "Führer" Adolf Hitler in Berlin. Wann die Schwabhausener wohl die Nachricht aus Berlin vernommen haben?