Weshalb Feindbilder für eine aggressive Politik so wichtig sind

 

Politiker, die heute für ihre Zwecke bewußt mit Feindbildern arbeiten, können auf der Projektionsneigung aufbauen und auf der Bereitschaft, Vorurteile von anderen zu übernehmen. Feindbilder sind eine besonders krasse Sorte von Vorurteilen. Wes¬halb braucht man sie in der Politik? Tertullian, ein Kirchenvater aus der Zeit, als die Christen noch verfolgt wurden, hat einen wichtigen Zweck damals schon gut erfaßt:

"Wenn der Tiber über seine Ufer tritt, wenn der Nil die Felder nicht be¬wässert, wenn der Himmel sich nicht rührt (es keinen Regen gibt) oder bei der Erde dies der Fall ist, wenn eine Hungersnot herrscht, wenn Seu¬chen ausbrechen, der Schrei ist immer derselbe: "Die Christen vor die Löwen!""

Feindbilder reichen raffinierterweise in der Bewertung von "reine Erfindung" über "es ist etwas Wahres daran" bis zu "stimmt zum größten Teil". Bei der Suche nach Schuldigen braucht man sich manchmal, wie im Irrationalismus des Mittelalters, überhaupt nicht mehr an die Realitäten halten. Machte eine Frau der damaligen Männerwelt Angst, konnte man sie einfach als Hexe bezeichnen und sie für das Unglück verantwortlich machen, das sich in der Umgebung ereignet hatte.

 

Vergleichbar verfahren viele Politiker auch heute noch bei der Suche nach "dem" Schuldigen für die heutigen Weltprobleme. Sie werden wie ehedem durch die zu¬stimmende Haltung der Bevölkerung oder zumindest durch deren Gleichgültigkeit unterstützt.

Feindbilder sind nicht direkt kriegsverursachend, aber sie leisten psychologisch viel. Die staatliche Propaganda legt bei der Vor- und Nachbereitung von Gewalt¬tätigkeiten deshalb so viel Wert auf die Pflege von Feindbildern, weil ihr Funk¬tionieren grundsätzlichen Gegebenheiten im menschlichen Seelenhaushalt ent¬spricht:

- Feindbilder dienen der Orientierung; sie geben an, gegen wen sich das Handeln richten muß.

- Feindbilder dienen der Emotionalisierung; sie erzeugen aggressive Gefühle gegen den Feind.

- Feindbilder dienen der Einigung; sie scharen eine zuvor zerstrittene Bevölkerung um ihre Führer.

- Feindbilder dienen der Rechtfertigung; sie begründen die Notwendigkeit der ei¬genen Gewaltaktionen.

- Feindbilder dienen der Ablenkung; Unzufriedenheit über die Führung, die mit Problemen nicht fertig wird, wird abgelenkt.

- Feindbilder dienen der Selbsterhöhung; im Vergleich mit dem vorgestellten mie¬sen Charakter des Feindes kommt man selbst besser weg.

(nach H.-P. Nolting, Lernschritte zur Gewaltlosigkeit, 1981, S. 117/118)

 

 

Wie mit Feindbildern manipuliert wird

 

Mit Feindbildern kann fast beliebig manipuliert werden; man kann den Feind hin¬stellen wie man will. Beim kriegerischen Austragen von Konflikten geht man meist davon aus, daß die gegnerische Führung der eigentliche Feind ist, daß die tatsächlich gefährlichen Soldaten nur verführte Opfer sind und daß die Bevölke¬rung der anderen Seite gegen ihre eigene Regierung eingestellt ist und eigentlich nur auf dieBefreiung durch "uns" wartet. Davon gingen die Amerikaner in Südost¬asien und in Grenada aus und die Russen in der Tschechoslowakei und in Afghani¬stan; man nennt dies "Bruderhilfe".

Manchmal werden im Feindbild Personen namhaft gemacht, damit sich gegen sie die Wut geballt richten kann ("zum Abschuß freigeben"), manchmal ist es aber nützlicher, keine Namen zu nennen, sondern nur von "subversiven Elementen" oder von den "Drahtziehern" zu sprechen. Letzteres macht es leichter, sich auf diplo¬matischer Ebene noch treffen zu können.

In Ländern mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen versucht man schon Kindern in Familien und Schulen Feindbilder einzutrichtern. Die Erziehung zum Haß gelingt aber offensichtlich erst bei Jugendlichen, wenn sich moralische Bewertungen vom mitmenschlichen Fühlen abspalten lassen.