Grenzfluss Vascao - Lebenswelten verschwinden

 

Nüchtern betrachtet bildet die Ribeira do Vascão eine natürliche Distriktgrenze, der Fluß trennt den Baixo Alentejo (Beja) vom Algarve (Faro). Zwar empfinden auch die alten Bewohner dieser einmaligen Fluß- und Berglandschaft – insbesondere bei guter Wasserführung – den Fluß als Grenze, aber nicht als unüberwindliche. Im übrigen hat ihnen die Kargheit der Lebensbedingungen Existenzweisen und Mentalitäten nahegelegt, die sie als einen relativ einheitlichen Menschenschlag ausweisen. Diese Zusammenhänge (Untertitel „O Homem e o Meio“) wurden in letzter Zeit von einem Kenner der Verhältnisse detailliert dargestellt[1].

 

Der Fluß, der nach etwa 80 km Lauf südlich von Pomarão in den Guadiana mündet, hat sein Quellgebiet nordöstlich von Salir, genau gesagt, beim 542 m hohen Monte Zebo. Von dort aus, also vom Zentrum der Serra Caldeirão fließt das Wasser erst nach Norden, wo es sich mit den Wassern des Vascanito verbindet, um dann von Corte Figeira an beständig in ost-nordöstlicher Richtung dem Guadiana entgegenzufließen. Eine Besonderheit des Flusses liegt darin, daß die Wassermassen der in seinem Einzugsbereich gelegentlich auch starken Regengüsse bei relativ starkem Gefälle (500 Höhenmeter bei einer Strecke von nicht ganz 60 km) rasch und „nutzlos“ im Guadiana verschwinden. Die Qualität dieses Wassers ist gut, sieht man von gelegentlichen, vorübergehenden und behebbaren Verschmutzungen ab (Kuttelnwaschen nach dem Schweineschlachten in den Wintermonaten, kleine Ölmühle bei Martinlongo).

 

Wer das gute Wasser als Grundlage des Lebens abfließen sieht und gleichzeitig von der anhaltenden Abwanderungsbewegung der Menschen an der Ribeira  do Vascão weiß, wer außerdem bei Wanderungen und Fahrten die Einsamkeit der verbliebenen Alten und die relative Armut der Jungen erlebt, die dennoch versuchen, eine landwirtschaftliche Existenz zu führen, dem zwängt sich eine Idee förmlich auf: Der Fluß müsste ein paarmal nur eben so weit aufgestaut werden, daß genügend Wasser kontinuierlich zur Verfügung steht, aber eben nicht so weit, daß wertvolle Flußauen für immer überschwemmt würden. Danach könnte wieder aufgeforstet und Flußfischerei betrieben werden, könnten Viehherden gehalten und Gewächshäuser für Gemüse angelegt werden. Auf eine andere Art kann weder die Bevölkerung gehalten, noch die nötige Infrastruktur für niveauvollen Tourismus geschaffen werden. 

 

Wie dies funktionieren könnte, wird - einzig im ganzen Gebiet - auf dem Gut Tasnal (an der Straßenbrücke der E.N. 2 São Bras – Lisboa über den Vascão) vorgemacht. Fast 500 ha Fläche können aus neun kleinen, hintereinander gereihten Rückhaltebecken mit nichts anderem als winterlichem Regenwasser versorgt werden. Entlang des Flußufers wurden Bäume gepflanzt und ein Olivenhain geschaffen, wie es ihn größer und schöner weit und breit kaum gibt. Daneben existieren Flächen, die mit Kork- und Steineichen aufgeforstet wurden. Der Kork läßt sich immer noch gut vermarkten, und die Eicheln sind wertvolles Ergänzungsfutter für die vielen Schafe und die wenigen Rinder besonderer Rasse, die frei weiden können.  Das erstaunliche ist, daß dieses riesige Gebiet von nur einem Arbeiter und einem Jagdaufseher versorgt wird. Zusammen mit den Geldern aus speziellen EU-Programmen (Aufforstung, alternativer Landbau usw.) sollte dies auch ein lukratives Unternehmen sein.

 

Der Fluß mit seinen Ufern birgt außerordentliche Reize dem, der bei seinen Exkursionen Umwege und gelegentliche Entbehrungen nicht scheut. Er wird durch unvergleichliche Landschaftsbilder und schon verloren geglaubte Zeugnisse landwirtschaftlicher Kultur reichlich entschädigt. Als Entdeckungsreisender (mit Respekt für die Lebensbedingungen der dort ausharrenden Bevölkerung) gewinnt man Zugang zum Fluß über vier große Brücken, nämlich bei Tasnal an der E.N. 2, südöstlich von Santa Cruz, nördlich von Giões und am Unterlauf, wenn die E.N. 122 Mértola – Castro Marim den Fluß überbrückt. Andere Brücken (am Oberlauf bei Barrigões, Ximeno und Azinhal dos Mouros) sind von eher untergeordneter Bedeutung, wenngleich recht nützlich für den Erkundungsreisenden. Furten gibt es zwar viele, sie sind in der Regel aber nur außerhalb der Regenperioden und auch nicht immer für alle Autos passierbar.

 

Warum wird man versuchen, Zugang zu dieser Flußlandschaft zu gewinnen? Eine der vielen reizvollen Ideen ist es sicherlich, der alten Mühlenkultur nachzugehen, gibt es doch insgesamt mehr als 40 Wasser- und Flußmühlen und dies in meist idyllischer Landschaft, wenn auch meist an versteckten Orten. Ein anderes Motiv, das sich mit der ersten Idee verbinden läßt, wäre es, vorgeschichtlichen oder auch nur mittelalterlichen Kultstätten und Siedlungsformen nachzuspüren. Wer aber auch nur unberührte, teilweise noch urtümliche Landschaft in sich aufnehmen möchte, wird gewiß die Mühen des Reisens für wert halten. Einige Strecken, insbesondere im Zielbereich, lassen sich nur zu Fuß machen und benötigen genügend Zeit. Um die kulturtouristischen Bemühungen zu ökonomisieren, werden anschließend einige miteinander verbindbare Teilrouten vorgeschlagen, auf denen aufgeschlossene Touristen ihren Interessengebieten am besten näher kommen können.

 

Das alte Mühlenwesen

Wasserbetriebene Mühlen kennt man hierzulande seit dem 12. Jahrhundert, erste Windmühlen sind sogar schon 100 Jahre früher bekannt geworden. Mühlen, samt und sonders von den Arabern eingeführt, waren in diesen mittelalterlichen Zeiten eine enorme Hilfe beim Mahlen des Korns für das tägliche Brot, den wichtigsten Proteinträger. Wenn auch die Energieaufnahme der Mühlentypen grundverschieden ist (Windkraft, Wasserkraft) und Konsequenzen für den Standort hat (in der Nähe der Siedlung bzw. bei einem zugänglichen Wasserlauf), ist doch die Technik des Mahlens im wesentlichen gleich. Zwei Mühlsteine aus Kalkstein (früher aus Paderne, heute aus Frankreich) zerrieben das durch ein Loch im oberen, flach aufliegenden Steinrad eingebrachte Korn. Der untere Stein wurde durch einen mit dem Energieträger verbundenen hochkomplexen Mechanismus bewegt. Bei der azenha , der einfacheren mechanischen Konstruktion, liegt das Schaufelrad, das das Wasser für seinen Antrieb aufnimmt, unten flach im Wasser. Dies bedeutet, daß der Antrieb nicht – wie bei den bei uns bekannten Flußmühlen - von der Horizontalen in die Vertikale umgelenkt werden muß. Pisão ist ein im Süden häufiger Name, was darauf hindeutet, daß es auch Mühlen gegeben haben muß, die keinen Mühlstein, sondern ein Schlagwerk zum Walken von Geweben angetrieben haben. Bei den gewöhnlichen Fluß- und Windmühlen unterscheidet man „weiße“ und „schwarze Mühlen“, je nachdem ob man Mehl zum Brotbacken mahlte oder Grobmehl als Futtermittel für das Vieh.

 

Müller hoben sich aus der Masse der armen Bauern dadurch heraus, daß sie Handwerker waren und zudem über besondere, kapitalintensive Produktionsmittel verfügten. Allerdings waren ihre Arbeitsbedingungen sehr schwer, schon auch dadurch, daß sie mahlen mußten, wann immer ein Kunde kam und Wind wehte, bzw. Wasser floß. Eine Wassermühle konnte im Jahr an die 100 Scheffel (alqueire) Weizen vermahlen, was 1.700 kg entspricht. Als Mahlgeld schöpfte der stets übermüdete und meist allein arbeitende Müller 7% des gewonnenen Mehls für sich ab. Bei kleinen Mengen warteten die Bauern, die ihr Korn auf Eselsrücken mühsam herbrachten, einige Stunden auf ihr Mehl, bei größeren Mengen mußten sie es am anderen Tag abholen.

 

Handwerkliche Fähigkeiten mußte ein Müller beispielsweise immer dann aufbringen, wenn es galt, den oberen Mühlstein, wenn er sich an der Unterseite abgeschliffen hatte, mit Spitzmeisel und Hammer wieder ganzflächig aufzurauhen. Denn mit einem solchen verbrauchten Stein verklumpte das Mehl und war nicht mehr zu gebrauchen. Ehe dies geschehen konnte, galt es, den Stein mit einem Durchmesser von 120 cm und einer Höhe bis zu 30 cm so hochzuheben, daß man die Unterseite gut und sicher bearbeiten konnte. Dies geschah mit Hilfe eines ausgeklügelten Systems von Holzkeilen (zum Hochheben) und –rollen (zum seitlichen Verschieben), das, wie man sich vorstellen kann, dem Müller sehr viel abverlangte.

 

Route X am Oberlauf des Vascão mit Ausgangspunkt Barranco Velho

Um einen ersten Sichtkontakt auf des Quellgebiet des Vascão zu gewinnen, biegen wir auf der E.N. 2 auf der Fahrt nach Norden in Vale Maria Dias links in eine ungeteerte Straße ein, die uns am Korksammelplatz vorbei nach drei Kilometern zum Monte Zebo führt, erkennbar an einem geodätischen Punkt und einem Turm für die Waldbrand-Wache, der im Sommer ständig besetzt ist. Vielleicht wird es einem erlaubt, hochzusteigen und die Rundumsicht zu genießen. In der Ferne ist in südwestlicher Richtung Salir und der Rocha da Pena gut zu erkennen. Uns geht es aber jetzt mehr um den Einzugsbereich, die Quellbächlein des Vascão, die im Norden zu unseren Füßen liegen. Wer will, kann über die alte Windmühle hinaus (beim Hinweisschild Richtung Salir einschlagen) bis zum verlassenen Dorf Cabaça fahren. Mühsam und nicht so lohnend ist die Weiterfahrt Richtung Barrigões (mit erster Brücke über den Vascão) und wieder hoch über Fornalha nach Cavalos an der E.N. 2. Es ist in der Regel zu empfehlen, sich mit dem Blick vom Monte Zebo zu begnügen und auf derselben Straße wieder zur E.N. 2 zurückzufahren.

 

Den zweiten, innigeren Kontakt mit dem Vascão verschaffen wir uns (nach einer Erfrischung oder gar Stärkung mit Brot und Schinken – vom schwarzen Schwein (porco negro) in der unscheinbaren Bar), indem wir ein bis zwei Kilometer nach Portela dos Cavalos bei der Bushaltestelle und beim Hinweisschild Richtung Portela/Xímeno links abbiegen. Bei den genannten kleinen Dörfern, deren Häuser teilweise von mächtigen Opuntienhecken umstanden sind bietet sich uns der junge Vascão mit seinen vielen zuführenden Bächlein schon von Oleandern umsäumt an. Danach stoßen wir auf die neue, geteerte Verbindungsstraße Ameixial – Vermelhos (Loulé). Nahe bei dieser Kreuzung, in Richtung Ameixial und Fluß mit Riesenrohr, ist links ein kleines Hinweisschild zu beachten, das uns nach kaum 500 Metern zur ersten azenha leitet, die besichtigenswert ist. Diese Mühle von Chavachã ist sehr gut erhalten und ist – in einer Flußniederung liegend - leicht zugänglich. Sie wird nur noch für den Bedarf des Besitzers und einiger seiner Bekannten betrieben. Der Müller ist Besuchern gegenüber freundlich aufgeschlossen. Das Innere der Mühle ist allerdings nur bei Betrieb, also bei genügendem Wasserzufluß besichtigenswert.

 

Wir gelangen des weiteren nach Ameixial mit seinen heute 350 Einwohnern, das  als das eigentliche Herz der Serra Caldeirão angesehen werden kann. Die offene und lichte Siedlungsform, Cafés und Esplanaden laden zum Verweilen ein. Seit kaum jemand mehr die E.N. 2 vom Süden nach Lissabon benutzt, hat der Ort zwar an Bedeutung verloren, an Erholungswert aber gewonnen. Viele Häuser stehen leer oder sind ruiniert. Man koste hier bei Gelegenheit den einheimischen Schinken und ein Gläschen des vorzüglichen Medronho. Vielleicht gewinnt man auch Zutritt zu einer kleinen Korkfabrik, um sich Stationen des Produktionsprozesses erklären zu lassen.

 

Válinho, am linken Ufer des Vascão gelegen, könnte eine Siedlung oder Begräbnisstätte aus dem Eisenzeitalter gewesen sein (dem Jahrtausend vor Chr.). Der Besuch lohnt vor allem im Hochsommer nicht, zumal die Suche nach dem Ort etwas schwierig verlaufen kann. Man erreicht den Ort am besten von Tavilhão aus (vor der Brücke von Tasnal links abbiegen und drei Kilometer wieder flußaufwärts fahren). Man findet heute dort zwar nur noch einen Haufen geschwärzter Steine, doch wird versichert, daß hier vor Jahren ein Archäologe einen Grabungsversuch unternommen habe. Leider wurden die Arbeiten aber nicht konsequent durchgeführt. Wer sensibel für alte Plätze ist und ab und zu Schusters Rappen nicht scheut, kann dennoch auf seine Kosten kommen, zumal sich weiter unterhalb dieses verwischten Kultplatzes die Mühle von Cimbra (oder Gimbra) befindet. Diese ist schon sehr zerfallen, der alte Mühlstein ist aber noch unversehrt vorhanden und bei näherem Betrachten kann man die Funktion der Mühle in der Landschaft recht gut rekonstruieren.

 

Route Y mit Ausgangspunkt Santa Cruz

Wird die Erkundungsfahrt zum Vascão rechtzeitig am Tag angetreten, ist noch genügend Zeit, um an diesem Tag auch den mittleren Abschnitt des Flusses anzugehen. Vor der Weiterfahrt nach Santa Cruz wäre es lohnend, einen Blick in das private Mustergut Tasnal zu werfen. Wer sich aber scheut, um die nötige Erlaubnis zu fragen, wird auch durch Blicke von der ansteigenden Fahrstraße jenseits des Flusses teilweise entschädigt. Die Abzweigung nach Santa Cruz kommt kurz vor Dogueno, die Fahrt dorthin erfolgt durch schon recht alentejanisch anmutendes Ambiente. Südlich des Ortes mit seinen 100 Einwohnern und einer einzigen Bar für Erfrischungen, beim Waschhaus (wo man sich äußerlich erfrischen kann), führt ein Feldweg zur wunderhübsch gelegenen alten Kirche, die immer einen Abstecher lohnt. Beachtenswert ist die ganz kleine Marien-Kapelle unten, die an einer geologischen Trennstelle zwischen feingeschichteten Tonschiefern und mächtigen Grauwacken erbaut wurde.

 

Im Sommer lohnt sich der Besuch der Wassermühle von Cascalheira unten am Fluß kaum, so daß wir gleich der neuen Umgehungsstraße und Brücke in südöstlicher Richtung über den Vascão folgen können, die uns auf der Gegenseite nach Zorrinho de Cima führt. Dort muß sich zum Müller, Sr. Ermino, etwas außer- und oberhalb gelegen, durchfragen, wer die einzige hier noch betriebene Windmühle in Funktion sehen möchte. Dieses urtümliche Erlebnis sollte sich – bei guten Windverhältnissen – niemand entgehen lassen, der schon einmal in diesen nördlichen Teil der algarvischen Serra kommt (die nächste wieder betreibbare Windmühle befindet sich in São Miguel dos Pinheiros, im südlichen Alentejo). Die korrespondierende Mühle von Cascalheira arbeitet schon fast fabrikmäßig auch heute noch. Sie kann mit drei Mühlsteinpaaren arbeiten, die einen je eigenen Wasserzulauf haben. Immer dann, wenn das Wasser unten nicht ausreicht, aber Wind weht, wird dort oben gemahlen.

Unser Weg Richtung Martinlongo führt über Pessegeiros, einem noch relativ belebten Ort, der sogar über ein kleines Restaurant verfügt („Cafe FigoVerde“).

 

Route Z mit Ausgangspunkt Martinlongo

Martinlongo mit seinen 800 Einwohnern ist die einzige Siedlung im Einzugsgebiet des Vascão mit Bevölkerungszunahme und Siedlungsausdehnung (südlich der Durchgangsstraße), mit Restaurant, Kulturzentrum und Sportverein. Hier befindet sich auch die einzige Ölmühle weit und breit. Einen Namen macht sich der Ort durch eine größere Brotfabrik mit über 50 Angestellten, die mehrere Brotsorten herstellt und sie, hygienisch verpackt, weit übers Land – sogar über die Grenze nach Spanien – verteilt.

Nach Santa Justa folgen wir erst der Ausschilderung nach Vaqueiros, der bald danach das Hinweisschild zu unserem nächsten Exkursionsort erfolgt. Das Castelo, wie die Einheimischen sagen, liegt einige Kilometer außerhalb des Ortes in südöstlicher Richtung. Mit einem halbwegs geländetauglichen Fahrzeug kann man bis zum Fuß des Berges fahren, auf dem aus römischen Zeiten in Grundmauern eine ringförmige Anlage auf der Kuppe des Berges übrig geblieben ist, deren Hauptmerkmal nach außen halbkreisartig vorgelagerte (Wehr-)Türme gewesen sein dürften. Auf einem der weiter westlich befindlichen Bergkuppen (Monte Curassa) befindet sich noch eine alte Mine, ein senkrecht nach unten gegrabenes Loch, von dem aus Querstollen in die erzführenden Gänge getrieben wurden. Der Berg ist ohne einheimischen Führer nur schwer aufzufinden.

 

Weiter geht die Fahrt (eventuell nach einer Erfrischung in einer der beiden örtlichen Bars – in der im grünen Haus wird auch redlich Deutsch gesprochen)  Richtung Giões. Auch dieser Ort mit derzeit 100 Bewohnern wird bevölkerungspolitisch mächtig zur Ader gelassen. Seit Jahren soll hier kein Kind mehr geboren worden sein. Eine einzige, kleine Bar ist Treffpunkt im Dorf. Wir fahren aber nicht sofort in den Ort hinein, sondern biegen einen knappen Kilometer zuvor beim rechts sichtbaren Waschhaus in einen Feldweg ein. Nach Durchquerung eines Bachbettes nehmen wir wiederum die erste Feldwegabzweigung rechts und fahren bis es nicht mehr gut weiter geht. Zu Fuß geht es nun links um ein ummauertes Schafgehege herum den Hang hoch, wobei wir ein auffälliges Rundhaus passieren. Oben angekommen, stoßen wir auf ein mysteriöses Ensemble zusammengefallener Ruinen – Cacela (de Giões), von denen manche Ecken noch erhalten sind und durch ihre glatte Fügung zu imponieren vermögen. Es handelt sich um eine Gruppe ehemaliger Behausungen, die ihre Außentüren alle nach innen gerichtet hatten, und die man wohl nur schwer erreichen konnte. Dies läßt auf erhöhte Sicherheitsbedürfnisse schließen. Der einzige Rundbau im strukturierten Trümmerfeld deutet auf die Apsis einer Kirche hin, zumal ein gegenüberliegender Eingang gut auszumachen ist. Jedenfalls gibt es nirgends Anzeichen von Dachziegeln (gab es nur strohbedeckte Dächer?), Lehmputz oder Kalkfarbe, und auch die Steine scheinen an keiner Stelle fein bearbeitet worden zu sein; sie müssen wohl grob abgeschlagen worden sein. Von dieser Siedlung gibt es keine Spuren (Gebrauchsgegenstände, Scherben usw.) und auch der schon genannte Chronist ist ratlos, gibt es doch über diese gut 500 Jahre alte Siedlung weder schriftliche noch mündliche Überlieferungen.

 

Leichter fällt uns die Datierung beim verlassenen Dorf Viçoso, das wir dadurch erreichen, daß wir bis zur Gabelung des Feldweges zurückfahren, um dem ursprünglichen Feldweg in östlicher Richtung weiter zu folgen. Nach zwei Kilometern erkennen wir rechts auf einer leichten Anhöhe Viçoso. Es gehört zu dem Dutzend Siedlungen, die demographisch seit geraumer Zeit tot sind. Ein Teil der Häuser ist schon länger dem Verfall preisgegeben, in einem anderen Teil finden sich – bei offenen Türen – noch Möbel, Kleidungsstücke und andere einfache Sachen des täglichen Lebens. In diesen Ruinen müssen bis vor einigen Jahren noch Menschen gehaust oder Unterschlupf gefunden haben. (Wie ein solcher Weiler mit der Zeit verfallen kann und was die Ursachen dafür sind, wird am Beispiel Cabaça, ausgeführt.) Andere Siedlungen sind noch nicht ganz ausgestorben, doch kann man ihre Bewohner schon an einer Hand abzählen. Insgesamt ist die Bevölkerungsdichte im Einzugsgebiet des Vascão auf weniger als sechs Personen pro Quadratkilometer zurückgegangen.

 

Einige Häuser fallen durch ihre alte Bauweise aus dem Rahmen. Die Außenmauern sind aus Tonschiefer und Grauwacken gebildet und mit Lehm verbunden worden. Auffällig sind auch die uralten, schätzungsweise 300 Jahre alten Opuntien. Sie könnten einen Abwehrzaun gebildet haben, sie könnten aber auch mit ihren Früchten der Ernährung gedient haben, wiewohl man weiß, daß sie bei übermäßigem Genuß ernsthafte Darmbeschwerden auslösen können. „Viçoso“ heißt „üppig gründend“, eine Bezeichnung, die im krassen Gegensatz zur jetzigen Umgebung steht. Und doch läßt alles darauf schließen, daß dieser Ort, in dem ein Haus um 1936 herum noch renoviert und 1958 noch ein letztes gebaut wurde, von prächtigen Feldern und Weiden umgeben war, die vom Bach Malheiro genährt wurden, der durch die flache Talsohle lief. Ein verlassenes Dorf hinterläßt beim Besucher eigenartige Gefühle.

Von Giões aus haben wir zwei Möglichkeiten, unsere Reise am Vascão fortzusetzen. Die erste (nur bei Trockenheit) besteht darin, daß wir am nördlichen Ausgang von Giões dem Wegweiser Richtung Farelos folgen und auf einer Teerpiste zu einem Hinweisschild nach Agua Santa de Besteiros kommen.

 

Wir haben also auch die Möglichkeit, uns von der südlichen Seite einem Landschaftsidyll zu nähern, den satt begrünten Fluß in kargem Bergland sich durchwinden sehen und am Ende noch ein erfrischendes Bad bei der bekannten Schwefelquelle nehmen zu können. Wenn der Fluß selbst nicht einlädt, kann man in der Saison ein Wannenbad nehmen (früher: 600 Esc/Person). Im Sommer setzten wir danach über die Furt nach Norden über und gelangen nach Besteiros. Dort können wir entweder die Reise der Staubpiste entlang nach Espirito Santo fortsetzen oder – etwas mühsamer – die kleinere Staubpiste nach Westen einschlagen, die nach Via Gloria und von dort wieder bequem südlich nach Giões führt.

 

Auf dieser Rückfahrt oder eben (bei vermuteter Unwegsamkeit der Furt) direkt von Giões aus steht, ausgehend von der Brücke über den Vascão, eine Besichtigung der Mühle von Alferes/Reliquias inmitten von Oliven- und Zitrusbäumen an – der Platz lädt auch zu längerem Verweilen ein. Noch bedeutsamer erscheint allerdings die Besichtigung der Ausgrabungen auf dem Cerro das Reliquias, einem Platz, der auf längere Besiedlung hinweist. 

Die jüngst beendeten Ausgrabungen, die nach gut viertelstündigem Aufstieg von der Brücke unten zu erreichen sind, förderten in einem Wehrmauerring präzise aufgerichtete Wände zu Tage, die Räume und Gänge bildeten. Erste Auswertungen ergaben, daß es sich um eine maurische Siedlung des 8./9. Jahrhunderts handeln muß, die vielleicht im 12. Jahrhundert wieder aufgegeben wurde. Die mündliche Überlieferung um eine Kapelle auf dieser Berbersiedlung läßt sich[2] leicht erklären, wenn man bedenkt, daß die „Araber“, die 711 auf die iberische Halbinsel übersetzten, keineswegs alle Muslime waren, sondern eben Berber, die teilweise des Lateinischen mächtig und von christlicher Kultur mitgeprägt waren, als sie von den arabischen Invasoren im Maghreb (682) für deren weitere Eroberungen rekrutiert wurden. Es würde nicht weiter verwundern, wenn diese Mauren oder Berber ihre Religion beibehalten hätten.

 

Bis zur E.N. 122 im Osten können wir etwas beschwerlich über Besteiros, Alcaria de Javazes, Zambujal parallel, aber doch im Abstand zum Fluß fahren, was die beschwerlichere Variante ist, oder wir machen uns es endlich fahrerisch wieder ein wenig leichter, gelangen auf Teerstraßen weiträumiger über São Bartolomeu da Via Gloria weiter nördlich auf die E.N. 122 und über Espirito Santo in südlicher Richtung zur Brücke von Sedas. Die "rätselhaften Steine von Zimbral" hat der Autor dieser Beschreibungen allerdings bislang noch nicht entdecken können.

 

Wer nach so langer und mühsamer Begleitung dem Fluß noch bis zur Mündung folgen will, um seine Vereinigung mit dem Guadiana zu verfolgen, dem bleibt es nicht erspart, erst mal Richtung Alcoutim zu fahren und in Cortes Pereiras nach Norden bis Monte Vascão vorzustoßen. Zur Mündung selbst und zur letzten Mühle (de Don Miguel) vorstoßen ist nochmals Fußarbeit. Für die Rückfahrt zum Ausgangspunkt (Faro/São Bras) empfiehlt sich die Strecke entlang des breit hinfließenden Guadiana ab Alcoutim (Richtung Castro Marim), aber durchaus auch die Strecke auf der E.N. 124 über Cachopo, von der wir lediglich den Abschnitt bei Martim Longo schon kennen.

 

Die Entbehrungen der Bevölkerung

Am Ende solcher Erkundungstouren wird einem nicht entgangen sein, daß die Bevölkerung, die hier noch ausharrt, auf das meiste verzichten muß, was für Mitteleuropäer, aber auch für die meisten Portugiesen, einen minimalen Lebensstandard bedeutet. Kurze Gesprächskontakte, die über Begrüßungen hinausgehen, zeigen, daß diese Leute sich darüber auch im Klaren sind. Sie können unsere Begeisterung über die Ruhe und Abgeschiedenheit ihres Lebensraums oder über die relative Unversehrtheit der sie umgebenden Natur kaum nachvollziehen, wenn es ihnen am Nötigsten, vor allem an beständigem Wasser, fehlt. Was sie entbehren müssen, übersteigt oft unser Vorstellungsvermögen, dem hier mit einer kurzen Dokumentation (Stand: 2000) nachgeholfen werden soll.

 

·        Eine ärztliche Versorgung gibt es im Grunde nicht; der einzige Arzt im ganzen Einzugsgebiet des Vascão praktiziert in Giões, akut Kranke müssen auf der Basis einer Eigendiagnose mit dem Taxi nach Mértola gefahren werden, ohne eine Garantie zu haben, dort auch ärztlich versorgt zu werden. Einmal im Monat kommt ein Arzt mit einer Sprechstundenhilfe nach Santa Cruz, zweimal die Woche nach Martinlongo.

·        Beschäftigung in der Serra gibt es allenfalls in den wenigen Brotfabriken (Martinlongo). Die in den Orten verbliebenen arbeitsfähigen Männer verlassen Haus, Frau (und eventuell Kinder) Sonntagabend oder Montag zu einer Zeit, in der früher Hinrichtungen stattgefunden haben, um die Woche über an der Küste oder in den Landkreisstädten am Bau zu arbeiten

·        Eine geregelte Schulbildung für die Grundschulkinder gibt es im Grunde nicht, weil es zu wenig Grundschulkinder gibt und die Schulen deshalb schließen müssen. So gibt es Schulen mit sieben Schülern, die täglich von verschiedenen, entfernt liegenden Montes hergefahren werden müssen. Diese Situation ist unerträglich geworden, da sie die Auswanderungsbewegung (gut nachvollziehbar) verstärkt. Und wer einmal ausgewandert ist, kehrt – so wird gesagt - nicht zu zwei Ziegen zurück.

·        Häuser können nur noch von zurückgekehrten Gastarbeitern (bevorzugt aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz) erhalten und in ihrer Infrastruktur verbessert werden, den anderen fehlt das Geld dazu. Abwässer werden nicht geklärt und Müll, der nicht untergegraben werden kann, wird verbrannt oder notfalls in die nächste Schlucht gekippt.

·        Man meint gerne, beim Ausbau des Wegenetzes gäbe es durch einseitige Verwendung der EU-Entwicklungsgelder gewisse Fortschritte. Paradoxerweise hat aber die Umstellung vom Esel zum Auto die Situation verschärft, da Autos genügend breite, gepflegte und sichere Pisten brauchen. Diese sind aber bei weitem nicht vorhanden, es fehlt vor allem an für Autos passablen Querverbindungen und Brücken. Darüberhinaus kann man sagen, daß ein öffentlicher Nahverkehr (mit Bus) nicht existiert. Die Bevölkerung hat wieder einmal das Nachsehen.



[1] Francisco Dias da Costa, Floridas na Pedra (Blumen im Stein). Associação IN LOCO, Oktober 1996. Vom selben Autor gibt es schon seit 1991 „Maravilhoso Guadiana. As Grandezas, as Miserias, o Misterio. Entendimento de um rio.“ Edição do Centro Cultural Caridadense 1.º de Maio. Caridade-Reguengos

[2] nach Francisco Dias da Costa, S. 62

Überraschende Begegnung mit einer Wäscherin am Fluss - mitten in Europa
Überraschende Begegnung mit einer Wäscherin am Fluss - mitten in Europa