Eigenheiten portugiesischer Sprache und Kommunikation

Im Hyronimus-Kloster zu Lisboa ruht der Nestor der modernen potugiesischen Sprache, Luis Camoes, von dem die Sage umgeht, der Einäugige habe bei einem Schiffbruch das Original seines Versepos "Die Lusiaden" über Wasser gehalten und so der Nachwelt er-halten. Rechts imaginierte ein Künstler den Nationaldichter der Renaisance als rauen Gesellen. Dagegen stehen seine zarten Verszeilen "Verdes sao os campos / Da cor de limao / Assim sao os olhos / Do meu coracao."

Portugiesisch ist ein Dialekt des im 13. Jahrhundert gesprochenen Lateins und ist von allen heute noch gesprochenen, vor allem aber geschriebenen Sprachen dem Lateinischen noch am ähnlichsten geblieben - bis hin zur Erhaltung des Plusquamperfekts. Der Wortschatz spiegelt teilweise die Geschichte des Landes wieder. Der Fundus ist - wie gesagt - römischen Ursprungs, wobei Einflüsse der Keltiberer auf das portugiesische Latein kaum nachweisbar sind. Wohl aber gibt es (nach O. Ribeiro) ungefähr 40 Wörter, die vom Gotischen abgeleitet werden können („Ramon“ stammt von „Ragin­mund“, dem durch Rat Schützenden). Dies ist ein geringer Beitrag gegenüber dem maurisch-arabischen Spracherbe, das etwa ein Zehntel des heutigen Wortschatzes ausmacht. Auf die Mozaraber[1] in Südportugal gehen ungefähr 600 Wörter zurück, die für das Leben auf dem Land und die Agrarwirtschaft wesentlich sind; aber auch Ausdrücke anderer Gewerke und des täglichen Lebens stammen daher. Heute sind in Nord- und Südportugal unterschiedliche Begriffe gebräuchlich, wie einige Beispiele zeigen:

 

Süden (arabisch)

Norden (römisch)

Deutsch

ceifa

segada

Mähen, Mahd

alqueive

rasa

Trockenmaß (Scheffel)

algeroz

caleira

Dachrinne, Traufe

acéquia

levada

Bewässerungsrohr

alcatruz

copo

Eimer/Becher

azinhaga

quelha

Weg zwischen Hecken oder Feldmauern

 

Seit König Dinis Portugiesisch offiziell als Landessprache eingeführt hat, hat sich diese Sprache ihre Eigenständigkeit gegen das Galizische (im Norden; manche sagen, es sei ein portugiesischer Dialekt) und vor allem das Kastilische (Spanische; im Osten) bewahren können.

 

Mit lateinischen Vorkenntnissen Portugiesisch zu lesen ist nicht allzu schwer - Portugiesisch hören und selbst sprechen dagegen sehr. Dazu tragen neben der relativ komplizierten Sprachstrukrur einige historisch ableitbare Eigentümlich-keiten bei: suebische Zischlaute (die sich die Brasilianer inzwischen abgewöhnt haben), burgundisch-fran­zö­sische (und auch suebische) Nasallaute. Hinzu kommt die Tendenz, auslautende und anlautende Vokale zwischen Worten so zu verschmelzen, dass die Wörter zu Sprecheinheiten verbunden werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Vokale gleich (abra a porta  wird gesprochen wie abra_ port(a)) oder verschieden sind (uma clara imagem wird so zu uma clar­_imagem; traz outro amigo tabèm singt Zeca Afonso wie traz outr_amig(o) também).

 

Algarvischer Dialekt

 

Der normale Tourist auf der Sprachkompetenz von "Portugiesisch in letzter Minute"[1] bekommt vom algarvischen Dialekt nur so viel mit, dass schnell und - dem Andalusischen nicht unähnlich - maschinengewehrartig gesprochen wird. Dies liegt eben daran, dass die vom Italienischen her gewohnten Endvokale nicht gesprochen werden. Statt obrigado/obrigada heisst es dann nur obrigad', statt mais nada heißt es oft nur mai' nad' und statt cogumelos (=Pilze) heißt es cog’mel’sch.

 

Die Verständigung ist auch bei besseren Sprachkenntnissen erschwert, da für ein und denselben Begriff unterschiedliche Ausdrücke verwendet werden. So kann der Apfelbaum portugiesisch korrekt macieira, aber auch macêra, maçãzera, maçanera oder gar perêro heißen. Der Marienkäfer wird normalerweise joaninha genannt, je nach algarvischer Teilregion aber auch marequita, marquita, rainha, catrenita, carochinha, boa-nova, aboa oder agorita. Ganz krass wird dies bei einem geringfügigen Alltagsgegenstand wie zum Beispiel einer Schaukel (baloiço): balancé, talão, tamblerão, retoiça, ardoiça, trapézia, talarão, riosca, arrodoiça, colúmpio, galúmpio, movedoiça.[2]

 

In Portugal sind die Dialekte nicht so verschieden, dass beispielsweise Leute aus dem Minho sich nicht in ihrer Dialektfärbung mit Leuten aus dem Alentejo unterhalten könnten, oder dass die "Salatfresser" (Lissaboner) nicht mit den "Kuttelfressern" (Bewohnern Portos) über ihre traditionelle Rivalität reden könnten. Auch den algarvischen Dialekt erkennt man an Feinheiten. Den süportugiesischen Anteil[3] zum Beispiel daran

 

dass man den Umlaut "ei", wie er zum Beispiel in pinheiro (Pinie) oder azeite (Olivenöl) vorkommt, zu einem bloßen "e" reduziert oder

 

dass man das unbetonte "i" nur noch wie ein schwaches "e" anstimmt, wie in "figueira" (Feigenbaum) oder "dissesse" (er/sie/es sagte) oder

 

dass man ein "i" entweder einfügt (duiza, paito, negoice) oder verschwinden lässt (miser/i/a, remed/i/o, gem/i/os).

 

Spezifisch algarvisch ist es zum Beispiel, wenn man den Enddiphtong "em" in ein "a" verwandelt, so dass es dann statt viagem nur noch "viaja" (Reise), statt lingagem nur noch "linguaja" (Sprache), statt homem nur noch "homa" (Mensch) heisst;

 

wenn man die intervokalen l und n erhält, so dass man nicht poente sondern "ponente" (Westen) und statt macieira "maçanera" sagt (Apfel);

 

wenn man statt der üblichen Pluralform "-ões" "-ons" setzt, so dass es nicht mehr "condições", sondern "condiçons" (Bedingungen), nicht mehr "travões", sondern "travons" (Bremsen) heißt.

 

Sprachforscher konnten feststellen, dass die Unterscheidung in Sotavento und Barlavento auch ungefähr einer Linie der Sprachdifferenzierung (in den Vokalisierungen und lexikalischen Strukturen) entspricht und dass im Hinterland des Barlavento die Sprache eher konserviert wird, während sie dort, wo die großen Häfen sind, eher neue Formen aufnimmt.

 

Anreden vertikal und horizontal

 

Im Umgang mit anderen gibt es differenzierte Anredeformen. Je nach Nähe und Verhältnis der Gesprächspartner zueinander bieten sie sich das familiäre und eng-freundschaftliche "Du" an, benutzen die immer beliebtere Dritte Person "vocé", stellen dem Vornamen eine Artikel vor (O Antonio vai ...) oder erset­zen, in derselben Form der dritten Person den Vornamen durch die Funktions­bezeichnung (O meu amigo vai ...). Letzteres ist bei Verwandten stark verbreitet (O tio vai..., O pai quer ...). Fremden gegenüber kann man praktischerweise die dritte Person ohne Artikel oder Personlapronomen verwenden (Quer uma coisa?) oder doch respektvoller das "O Senhor/a Senhora ..." voranstellen. Viele Portugiesen greifen vorsichtshalber gleich eine Ebene zu hoch (O senhor engenheiro; o senhor doutor; Vossa Excelência...). Einige Mutige gehen heute demgegenüber sogar eher eine Stufe nach unten und reden auch den Präsidenten oder einen Minister mit "O senhor" an. Redet man über einen Abwesenden, ist er, gleich welchen Ranges, "gajo". In Olhão und Faro konnte man und kann heute teilweise noch Freunde mit mano und Fremde freundschaftlich mit compadre/comadre (Gevatter/Gevatterin) anreden. Junge Männer werden dort noch “, „móce angesprochen; „moço“ und „moça ersetzen im Algarve fast vollständig rapaz/rapariga und menino/menina. Das portugiesische Taktgefühl scheint insgesamt ausgeprägter zu sein und kennt mehr Zwischentöne. Ein Ausländer, der an Wort und Buchstaben hängt, kommt nicht leicht dahinter.

 

Unterscheidung Privat - Öffentlich

Fragt man Touristen, was ihnen in Portugal gefällt und was nicht, werden auf der Positivseite meist das Klima genannt, die Landschaft und die mäßigen Preise in den Restaurants, alles Faktoren, die naturbedingt sind, von den Vorfahren schon gestaltet wurden, beziehungsweise ganz einfach auf die Armut des Landes zu­rückzuführen sind. Negativpunkte sind Probleme mit der Umwelt, Dreck und Lärm, die Portugiesen zu verantworten haben. Man denke an den sorglosen Umgang mit Abfällen oder an die aufgedrehten Mofas, die trotz einschränken­der Gesetzgebung, weiterhin ungeahndet die Ohren betäuben dürfen. Portugiesi­sche Kommentatoren[1] stellen dazu fest, dass es in den privaten Häusern sauber ist, auf den Straßen dagegen schmutzig. Dies führt zu der Erklärung, dass Por­tugiesen - noch mehr als andere Nationalitäten - einen Unterschied machen zwi­schen dem individuellen/heimischen Bereich und dem sozialen/öffentlichen. Hier scheint sich noch das Misstrauen gegen den Staat zu spiegeln, der als Usurpator imaginiert wird und nicht als Repräsentant der Bürger. Kollektivität im großen Maßstab ist für den Portugiesen eine Fiktion. Sicher und solidarisch fühlt er sich nur mit seiner Familie und mit den engsten Freunden. Ohne eine grundlegende Änderung in dieser Bewusstseinslage wird es aber so schnell keine Verhaltens­änderungen in ökologischen und sozialen Bereichen geben. So werden weiter "Verrückte" mit ihren Schrottkarren  die Straßen verunsichern und Plastikbeutel voll stinkenden Mülls inmitten schöner Naturlandschaften zum Autofenster hinauswerfen.


[1] M.V. de Almeida in O Publico vom 30.07.95

[1] rororo 9686, 12,90 DM, zuzüglich Cassette 9736

[2] Wer sich mehr dafür interessiert, kann im Dialektatlas von Clarinda Azevedo Maia, Os Falares Do Algarve, Coimbra, 1975, weiterstudieren.

[3] nach Clarinda de Azevedo Maria „Os Falares Do Algarve“, Coimbra, 1975



[1] Nichtmaurische Bevölkerung, die jahrhundertelang unter maurisch-arabischem Einfluss stand und nach Abzug oder Vertreibung der maurischen Herrschaften ihre Spache und Kultur natürlich nicht sofort umstellen wollten oder konnten.