Die Feindesliebe des Jesus von Nazareth erscheint uns wie eine übermenschliche Anforderung, der nur Ausnahmemenschen gerecht werden können. Man kann aber versuchen, diesem hohen Ziel über Zwischenziele näher zu kommen.

 

"Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung"

 

Das erste Zwischenziel ist Selbsterkenntnis. Wir müssen wieder neugierig auf alles in uns werden und uns mehr als bisher fragen: Wer bin ich eigentlich? Wie lebe ich? Was ist meine Wahrheit? Selbsterkenntnis steht auch deshalb am Anfang, weil damit jeder sofort beginnen kann, ohne auf den anderen warten zu müssen. Nehme ich nach einiger Zeit wahr, daß etwas in meinem Leben auf eine Krise zusteuert, erweist sich also mein bisher eingeschlagener Weg als falsch, so wäre die erste Konsequenz, auf dem falschen Weg Halt zu machen (vgl. Franz Alt, Frieden ist möglich, 1983) Auf der Basis verbesserter Selbsterkenntnis entpuppt sich Schillers Ausspruch (4. Beispiel, Seite 2) als ein hohler Anspruch. Erstens wird unterstellt, man selbst sei der "Frömmste", der andere der Böse und , zweitens, fordert man von ihm als erstes Gewaltlosigkeit, ohne sich selbst zuerst eine Blöße geben zu wollen.

 

Selbstermutigung, zu seinen eigenen Ängsten und Unsicherheiten zu stehen

 

Zu einem gesunden Selbstbewußtsein gehört, daß ich mich in allen meinen Teilen wieder annehmen möchte. Wenn ich Schwächen an mir und Risse in mir wahrneh¬me, bringt es wenig Heil, wenn ich diese zu kaschieren oder zu verkleistern versu¬che. Neuen Wert und echte Stärke gewinne ich erst wieder, wenn ich mich in al¬len meinen widersprüchlichen Teilen angenommen habe. Der Weg dorthin ist recht schmerzhaft, doch könnte die Sehnsucht nach dem wahren Selbst helfen. Es ist mehr als das, was ich jetzt von mir wahrnehmen kann. Es bezeichnet meine Ganzheit, zu >der ich den Zugang verloren habe.

Hinwendung zum Fremden und Fernsten, nicht nur zum Nächsten

 

Es ist nicht allzu schwer, seine eigenen Kinder, seine Frau oder seine Freunde zu lieben, wenn wir zuvor - wie das meist der Fall ist - etwas Positives von uns in sie hineingelegt haben und dort idealisieren. Wenn wir hingegen unangenehme Sei¬ten von uns akzeptieren konnten, können wir auch besser das Unangenehme und Fremde außerhalb von uns selbst annehmen. Dies wäre eine wirklich fruchtbare Wendung, wenn wir alle andersartigen Menschen in eine gemeinsame Schöpfungs¬ordnung einbeziehen und sie in ihrer Kreatürlichkeit gelten lassen könnten. So könnte auch die kriegsverhindernde Umstellung auf Vertrauens- und Verständi¬gungsbereitschaft gelingen, von der Albert Einstein sprach. Er meinte nicht so sehr ein Umdenken im Kopf, sondern ein "Umdenken" im Herzen.

 

Geschaffene Kontakte halten und die Kooperation ausbauen

 

Ein mit Energie gestalteter offener Kontakt läßt meist auch Sympathie und Nähe entstehen. Nach einigen offenen Kontakten unter realistischen Voraussetzungen sind wir zumindest bereit, das Gemeinsame hinter dem Trennenden zu suchen. Ein wichtiges Mittel, Menschen unterschiedlicher Art und Interessen zusammenzu¬bringen, ist die Erfahrung gemeinsamer Not. Durch solche gemeinsame Not zu¬sammengetrieben, können in gemeinsamer Anstrengung Erfolge erzielt werden. Dies führt wiederum dazu, die Kontakte zu vertiefen und die Gespräche zu diffe¬renzieren.

Seltsamerweise können auch Feinde entdecken, daß sie einen gemeinsamen Feind haben. Daß dies auch unsere gegenwärtige außenpolitische Gegenseite weiß, doku¬mentiert die folgende Aussage von G. Arbatow, einem sowjetischen Strategiewis¬senschaftler:

"Ich bin der Überzeugung, daß es ein wachsendes Bedürfnis gibt zu ver¬stehen, daß die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten ... einem unper¬sönlichen Gegner gegenüberstehen, der jede spezifische Bedrohung weit übersteigt, die eine Seite in der anderen sehen mag. Dieser Gegner ist die lauernde Gefahr eines Nuklearkrieges. Mit all unseren Unterschieden und Widersprüchen haben wir doch ein überwältigendes gemeinsames In¬teresse daran, die Bedrohung des Krieges abzuwenden."

 

Konflikte so offen wie möglich austragen

 

Paradoxerweise entstehen Kriege, weil Konflikte nicht ausgetragen werden. Das hat seine Gründe oft darin, daß die Konfliktaustragung zu gefährlich erscheint und daß man sich in Feindbildern und im Aufrüstungs- oder gar im Kriegszustand si¬cherer glaubt. Grundfertigkeiten zum Austragen von Konflikten kann aber jeder für sich aufbauen. Dazu gehört z.B.

- daß wir unsere eigenen Interessen und Wünsche möglichst klar ausdrücken,

- daß wir uns gleichzeitig für den Standpunkt des anderen interessieren und auf ihn hören,

- daß wir die dabei auftretenden Spannungen so lange aushalten können, bis wir produktivere Verhaltensweisen gefunden haben, den Konflikt anzugehen, ohne wieder alte, verbrauchte Handlungsmuster zu verwenden.