Integrationsprobleme im Gemeinwesen

Mir scheint, Kommunalpolitik sei das Feld, auf dem sich Menschen tummeln, die alle so sein wollen, wie kein anderer auf der Welt und die es zu tun haben mit anderen Menschen, die sich ebenfalls gerne als Unikate sehen, dass Kommunalpolitik aber nicht anders kann, als Menschen in Interessengruppen einzuteilen, innerhalb derer jeder so ist, wie die ande-ren auch. Kommunalverwaltungen jedenfalls arbeiten kaum mit Einzelfällen, sondern mit Fallklassen. Und wer welche einer Klasse zuordnet, - das haben wir gesehen – schließt andere von dieser Klasse aus. Verdruss ist vorprogrammiert. Gewählte Politiker müssen nun aber auch noch versuchen, möglichst beide Seiten, die Ein- wie die Ausgegliederten, für sich als Klientel zu gewinnen, sich für sie wichtig zu erweisen und ihnen Lösungen bei den anstehenden Konflikten schmackhaft zu machen. Sie müssen versuchen, durch eigene Entscheidungen auseinanderklaffende Bevölkerungsteile zu integrieren, den Mantel des sozialen Friedens über alle zu breiten.

 

Zerrform Kirchturmpolitik

Können unsere Kommunen, unsere Städte zumal, die Aufgabe des Spannungsausgleichs zwischen Eingegliederten und Ausgegliederten aushalten und produktiv damit umgehen? Oder bescheiden sich unsere Kommunalpolitiker, sowieso immer knapp bei Kasse und so-mit vermeintlich ohne reale Chancen, innerhalb ihrer Ortsbindungen mit engem Kirchturm-denken und trösten sich mit Geselligkeiten in geschlossenen Honoratiorenkreisen? Dann entsprächen sie noch dem lang-überlieferten und weit verbreiteten Bild eines Kommunal-politikers, wie sie einst in der Figur des Josef Filser von Ludwig Thoma oder – wieder aktuell - des Max G. Froschhammer (Hanitzsch/Riehl-Heyse) karikiert wurden?

 

Voraussetzungen fehlen

 

Autonomie der Kommunen

Voraussetzung dafür, dass Kommunen ihre Bürger sowohl in Programme einbinden als auch für sich machen lassen können, ist ihre politische Autonomie und sind die Mittel, ihren daraus entspringenden Willen umzusetzen. Betreiben aber die Städte wirklich noch sozia-len Wohnungsbau in nennenswertem Umfang, haben sie Einfluss auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, gestalten sie denn noch ihren öffentlichen Raum bürgerfreundlich, beispiels-weise ihren Hauptplatz oder die Wohn-Siedlungen in der Peripherie? Die Tendenz ist allent-halben, dass sie Entscheidungen an übergeordnete staatliche Instanzen abtreten oder den Marktmechanismen überlassen. Hier liegt aber die Gefahr: Werden die politischen Ent-scheidungen von den Kommunen nicht mehr selbst getroffen und verantwortet, sondern eher nur noch verwaltet, haben die dabei notwendig Ausgegrenzten nur noch die Risiken der Ausgrenzung zu tragen und werden um ihr entwicklungsförderliches Potential gebracht, das im regionalen Maßstab rückwirken könnte, im überregionalen jedoch verpufft. Insbe-sondere ethnische Minderheiten fühlen sich dann benachteiligt, stigmatisiert und ohne Perspektive.

 

Bürgerliches ortsständiges Unternehmertum fehlt

Im Zuge der Internationalisierung, Globalisierung und des Übergangs von der Industriepro-duktion zur Dienstleistung international operierender Konzerne – Vorgänge, von denen wir Bürger zu wenig Ahnung haben, - verlieren die Kommunen mehr und mehr das lokal ein-gebundene und vor Ort bisher verantwortliche bürgerliche Unternehmertum. War dieser Unternehmer bisher im günstigen Fall Bauherr, Ratsmitglied, Vereinsvorsitzender und überhaupt lokalpolitisch interessiert, so bleibt an seiner Stelle nur noch der Stadtnutzer und Stadtkonsument, der dort wohnt und arbeitet, wo er die besten Angebote erhält. Klar ist auch, dass er Dienstleistungen, Infrastrukturen und Wohnbedingungen nach internationalen Spitzenstandards erwartet. Versuchen die Städte nun, dieser neuen, anspruchsvollen Klien-tel gerecht zu werden, fördern sie zwangsläufig neue Ungleichheiten und säen neidvolle Zwietracht. Nebenbei gesprochen: Auch insofern lässt sich die Absage von BMW an Landsberg als Standort für eine neue Fertigungsstraße für Pkws durchaus verschmerzen.

 

Soziale Einbrüche und die Ablehnung von „Fremdem“

Wird eine städtische Bevölkerung ein Weniger an Wohlstand, Chancengleichheit und Op-tionen hinnehmen? Bisher verhielt sie sich – in Großstädten mehr noch als in Kleinstädten - in der Weise integriert, dass sie Konflikte vermied durch eine Art „akzeptierende Gleichgül-tigkeit“, eine Art anonymen Schleier gegenüber allen anderen Stadtbewohnern. Gemein-schaftsgeist, emotionale Nähe, Vertrautheit und soziale Verpflichtung spielten bei den Städtern bisher eigentlich kaum eine Rolle; sie ließen sich eher durch Nutzenkalkulationen bestimmen. Diese prekäre Balance des halbwegs aufgeklärten städtischen Bewusstseins wird in Zukunft nicht mehr gut zu halten sein. Man fürchtet – es gibt Anzeichen dafür, - dass sich die Waage verschieben wird in Richtung Ablehnung und Ausgrenzung von  Fremden oder ganz allgemein von „Anderem“. Darin werden sich eigene Statusunsicherheiten, Ab-stiegsängste, Konkurrenz um knappe Güter u.a. wiederspiegeln und sich in Ablehnung, Feindseligkeit und Aggression äußern.

 

Die Politik anerkennt Realitäten zu spät

Die bisherige, seit den 60er-Jahren von unseren christlich-konservativen Regierungen poli-tisch gewollte Arbeitsimmigration – der Vertrag mit der Türkei stammt zum Beispiel von 1961 - hat u.a. in der gesamten deutschen Bevölkerung zu allgemeinem Wohlstand und zu einer qualitativen Anhebung der beruflichen Karrieren geführt, unterschichtet allerdings mit ausländischem, billigem Arbeitspotential. Es erwies sich letztlich als blauäugig, junge, meist männliche Arbeitskräfte auf nur fünf Jahre befristet für den Bau und die Montage gewinnen zu wollen, sie schlecht unterzubringen, einmal im Jahr auf Familienurlaub zu schicken, um sie nach Ablauf der Frist spurlos und schadlos für uns Deutsche wieder los zu haben. Die-ser unmenschliche Plan ging nicht auf; von den Folgen einer verfehlten Ausländerpolitik sind wir heute alle betroffen.

Seltsamerweise hatten es die ersten radebrechenden Italiener, Türken und Jugoslawen in gewisser Weise besser als ihre sprachlich geschulten und schulisch gebildeten Söhne und Töchter heute. Die Väter hatten – so lange sie gesund und arbeitstüchtig waren – ihren Job sicher; ihre Kinder müssen mit den Kindern der Einheimischen um Jobs und Partner kon-kurrieren und kommen dabei unter aggressiv machenden Druck, da sich viele einheimische Arbeitskräfte momentan Abstiegsgefahren gegenüber sehen – in den neuen Bundeslän-dern mehr als in den alten.

 

Fehler bei der Integration der Ex-DDR

Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hat eine zusätzliche, bisher kaum bewältigte Gemengelage an Problemen geschaffen. Die Analysen der Fachleute stimmen darin überein, dass in der alten DDR die weltweit erzwungene Modernisierung nur halb ge-lang. Auf der objektiven Seiten wurde zwar modernisiert (es gab Bildungsreform, Verstäd-terung, Industrialisierung u.a.m.), auf der subjektiven Seite – in den Köpfen der Menschen - wurde aber versäumt, den entsprechenden Wertewandel zu forcieren. Die Werte ihrer All-tagskultur, die durchaus zum Zusammenbruch des Unrechts- und Überwachungsstaates dort mit beigetragen haben mögen, werden nun im „vereinten“ Deutschland nicht gebraucht und anerkannt. Dies deshalb, weil der Beitritt in einem Moment der Geschichte der Bundes-republik Deutschland erfolgte, in der diese selbst einen nur schwer bewältigbaren Moderni-sierungsschritt tun musste, um im weltweiten ökonomischen Wettbewerb mithalten zu kön-nen. Auf die Anarchie dieser Märkte und auf das rasante Tempo der Veränderungen auch in ihren Gemeinden waren unsere „Brüder und Schwestern“, nun kurz und abschätzig „Ossis“ genannt, innerlich nicht vorbereitet. Dort, wo der Wandel verlangsamt oder wie in strukturschwachen Randlagen gar nicht gelang, haben wir heute den größten Ärger und die meisten Probleme mit unzufriedenen, regressiv oder aggressiv reagierenden jungen Er-wachsenen. Ihre Prügelknaben sind – der Einfachheit halber – die Anderen und die Fremden, von Weitem leicht erkennbar an der Hautfarbe.