Erna Simon, später verh. Kemeter
Erna Simon, später verh. Kemeter
Berta Simon
Berta Simon

Familie Simon in der Bergstraße 418 und 417 (nach dem Krieg)

 

Max Simon, geb. am 14.05.1868 in Asch/Böhmen, verh. mit Luise geb. Kohn, geb. am 27.08.1874 in Eger/Böhmen, war am 28.07.1919 mit seiner Familie von Schönwald in Oberfranken nach Landsberg gezogen, wo er aber schon am 23.06.1921 verstarb. Er hinterließ die vier Kinder Erna Louise, Charlotte, Ernst und Bertha, welche, bis auf die älteste Tochter, schon als Jugendliche von Landsberg wegzogen (später jedoch immer wieder kamen). Die Simons betrieben anfangs in der alten Turnhalle (heutiges Stadttheater) eine kleine Besenfabrik. Später kauften sie am Hauptplatz 183 ein Haus, das jedoch nach dem Tod des Mannes und in der Zeit der Wirtschaftskrise verkauft werden musste; stattdessen wurde das Haus in der Bergstraße 418 erworben. Im März 1938 verstarb die an schwerer Gicht leidende Kaufmannswitwe und Betreiberin eines Restegeschäftes.

 

Erna Louise Simon, die älteste Tochter, geb. am 05.04.1903 in Asch/Böhmen, ging in Eger zur Schule, absolvierte dort auch noch eine Handelsschule und begann in Ingolstadt eine kaufmännische Lehre. Als die Eltern das Haus in Landsberg gekauft hatten, zog sie von Ingolstadt zu. Die Tochter half der Mutter im Geschäft und betrieb auch ein Taxiunternehmen. Inzwischen hatte Erna am 16.02.1922 Ulrich Kemeter aus Reisch/Landsberg geheiratet, der kein Jude und von Beruf Lichtspielvorführer war (geb. 28.12.1895, gest. 24.10.1959). Allein dass er eine Jüdin geheiratet hatte, brachte ihn später ins Arbeitslager Hedersleben in Sachsen. Aus dieser Verbindung entstammt Sohn Erich, geb. am 09.02.1922, der heute noch in Landsberg lebt.

 

Wegen der beruflichen Diskriminierungen als Jüdin schrieb Erna ihr Mietauto (Kennzeichen IIB 1595), das sie bis 1933 selbst betrieben hatte, an ihren Mann um. Ihr Ladengeschäft in der Bergstraße durfte ab 1938 weder sie noch ihr „arischer“ Mann weiterführen. Es wurde nach dem 10.11.1938 durch Verfügung des Bürgermeisters geschlossen und von der SA bewacht, so dass sie es selbst nicht mehr hätte betreten können. Am Erwerb des Anwesens Bergstraße 418 hatte die Stadt Landsberg im Januar 1939 kein Interesse; die Kreisleitung der NSDAP hatte unter dem Betreff „Verwertung der Grundstücke im Eigentum von Juden“ nachgefragt. Auch Grundstück und Wohnhaus sollten 1941 an den arischen Ehemann umgeschrieben werden; das Gesuch wurde aber abgelehnt. Auf Geheiß des 2. Bürgermeisters Wilhelm Nieberle musste sie auch immer wieder aus Landsberg heraus; ihr Mann hielt sich dann mit ihr in der Nähe des Ammersees auf, nur um abends wieder heimlich zurückzukehren. Den gelben Judenstern bekam sie im September 1941 für 10 Pfg. zum Annähen gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt, doch da sie nur noch selten außer Haus ging, schaffte die Bedrängte es immer wieder, das Tragen dieses Mals zu vermeiden.

 

Ab Kriegsbeginn, ausgelöst durch einen banalen Vorfall, der zur Anzeige kam, wurde Erna zur Zwangsarbeit befohlen und zwar beim NS-Funktionär Philipp Braun in der von ihm damals geführten Hartpapier-Fabrik (gegenüber dem alten Friedhof). Erna berichtete, dass sie dort ausgebeutet (Stundenlohn 38 Pfennige) und schikaniert worden sei (Sprechverbot in der Firma, Zuständigkeitsgerangel um eine Krankschreibung, willkürliche Festnahme und Festsetzung in München usw.) Dass „der größte Nazi aus Landsberg“, der auch ihren Resteladen schließen ließ, sie auf diese Weise möglicherweise auch als Jüdin „deckte“, ist eine mitunter vorgebrachte Deutung, der sich die Betroffene sicherlich nicht angeschlossen hätte.

 

Nun war es für Erna und ihre Familie endgültig zu spät, um noch auswandern zu können. Daran gedacht hatte die Familie schon früher, doch hatten sie keinerlei Verwandte im Ausland und hatten auch lange gehofft, es würde sich alles wieder wenden. Noch 1939 fuhr ihr Ehemann in die USA, um dort vor Ort Möglichkeiten für eine Einreise und Existenzgründung zu erkunden. Er hatte unter dem Vorwand, ein Autorennen im Herbst in den USA zu besuchen, nach Kontaktaufnahme mit den dort weilenden Landsberger Juden und mit Hilfe des ADAC auch illegale Wege der Einwanderung seiner Familie untersucht. Auf der Rückreise, nach erfolglosem Bemühen, brachte er sich bei den Frühjahrsstürmen auch noch in Lebensgefahr und außerdem machte der Kriegsausbruch alle Pläne zunichte; die schon gekauften, riesigen Schiffskoffer blieben unbenutzt. Danach musste Ulrich Kemeter nach Italien fahren, um von dort aus die nötigen Formalitäten zu erledigen, doch bis sie an die Reihe kamen, waren alle Schiffe – „Rette sich wer kann!“ - überbelegt. Sohn Erich bereitete für sich und seine Mutter noch im Herbst 1943 praktisch den illegalen Grenzübergang über das Kleinwalsertal in die Schweiz vor, doch waren die Übergänge in der darauf folgenden Winterperiode unpassierbar. Auch erhoffte Mittel für die Ausreise standen nicht mehr zur Verfügung, weil die Familie von der Gestapo gezwungen worden waren, ein Mietshaus in München zu einem Spottpreis zu verkaufen.

 

Im Januar 1944 sollte Erna Louise verhaftet werden. Ihr Sohn, der glücklicherweise gerade zu Hause war, konnte den Polizeibeamten mit der Notlüge, seine Mutter sei gerade außer Haus, etwas hinhalten und sie im oberen Stockwerk warnen. Da der Polizist aber lange verweilte und Gefahr bestand, dass er das Haus durchsuchen könnte, flüchtete sie über das verschneite, steile Dach – nur notdürftig bekleidet - ins Nachbarhaus von Michael Lankes, der sie mit Kleidung, Schuhen und einem Fahrrad versorgte. Es schloss sich eine Irrfahrt über die Dörfer des weiteren Umfeldes von Landsberg deshalb an, weil die vorher schon angedachte und vorbesprochene Adresse in Hofstetten nicht mehr half; der Bewohner musste am nächsten Tag einrücken und es hielt sich eine Nazi-Frau im Haus auf. Die Flucht Hals über Kopf endete - immer über Schleichwege - vorerst für einige Tage bei der Familie Hipp (der befreundeten Anni und ihren Eltern) in Schwabhausen. In Sorge um den Sohn Erich wieder heimlich zurück bei Lankes, erfuhr sie, dass dieser nun auch ins Arbeitslager gekommen war, jedoch zuvor für sie bei Pfarrer Maier in Ruderatshofen (früher im benachbarten Stoffen tätig) eine Verbindung geschaffen hatte. Doch ehe sie dort Schutz für sich suchte, wollte sie Kontakt mit Ehemann und Sohn im sächsischen Arbeitslager aufnehmen.

 

Dies gelang ihr auch auf abenteuerlichste Art und Weise, teils mit dem Rad, teils mit der Bahn (immer nur in 30-km-Abschnitten), über Neuburg/Donau, wo man bei ihren Verwandten aber schon nach ihr gefahndet hatte. Außerhalb des Lagers sah sie glücklicherweise ihren Mann auf einem Fuhrwerk und es gelang ihnen, sich heimlich abzusprechen. Auf dem Rückweg suchte sie Verwandte in Manching auf und konnte dort etwas länger bleiben. Ende Januar 1944 kam sie äußerst bedürftig endlich in Ruderatshofen an, wo sie als Verwandte aus München, namens „Zenta“ im Pfarrhof bleiben durfte. Doch verschärfte sich ihre Sicherheitslage und sie konnte sich nur noch im Schlafzimmer aufhalten und das schnelle Ende des Krieges herbeisehnen. Beim Hamstern in Kaufbeuren traf sie einmal einen Bekannten, der ihr erzählte, in Landsberg ginge das Gerücht um, sie sei im Ammersee ertrunken. Dieses muss sie wohl vor weiterer polizeilicher Verfolgung geschützt haben; doch erst als die ersten Panzer in Kaufbeuren einfuhren, war sie gerettet.

 

Aus Dankbarkeit und Überzeugung ließ sie sich von Prälat Weber aus Augsburg, der auch im Pfarrhof weilte, am 01.05.1945 katholisch taufen. Schon am nächsten Tag fuhr sie mit dem Rad (mit einer Übernachtung in Buchloe) nach Landsberg zurück. Über einen Notsteg ließ man sie über den Lech und sie konnte dort gleich die „Bonzenfrauen“ beim Aufräumen von Schutt und Scherben sehen. Ihr Haus traf sie voller fremder Menschen an, so dass sie nicht bleiben konnte, doch ihr Mann Ulrich war glücklicherweise durch einen Trick schon da und sie fuhren gemeinsam nochmals nach Ruderatshofen. Einige Wochen später traf auch Sohn Erich aus dem sächsischen Arbeitlager ein, der über tausend Kilometer mit dem Rad zurückgelegt hatte, das sich just zum Zeitpunkt seiner Ankunft in seine Teile auflöste.

 

Frau Kemeter heiratete nach dem Tod ihres Mannes Ulrich, der schwer zuckerleidend war, am 10.05.1961 den Polizisten Hans (Christian) Löffler aus Kaiserslautern, einen Freund von Ulrich aus gemeinsamer Lazarettzeit, in dessen Heimat sie im März 1964 auch für etliche Jahre zog; im November 1981 kehrte sie wieder zurück nach Kaufering. Sie verstarb 1994 und wurde auf dem Neuen Friedhof in Landsberg bestattet.

 

Ernas Schwester (Char)Lotte Simon, geb. 24.11.1904 in Asch/Böhmen, zog schon im November 1919 von zuhause aus, lebte zwischendurch wohl im Haus ihrer Mutter (Nr. 418) arbeitete als Hausangestellte jedoch an verschiedenen Orten. Beschäftigungen fand sie z.B. in Bad Kissingen, Frankfurt, Eger, Ingolstadt und Leipzig. Von August 1939 bis zum 01.11.1940 wohnte sie nochmals beim „arischen“ Schwager, dessen Schutz in dieser für Juden schon hochgefährlichen Zeit aber wohl nicht mehr ausreichte. Auch gab es trotz verzweifelter Bemühungen und obwohl alle Papiere für Lotte beisammen waren, keine Passage mehr für sie. Stattdessen zog sie – als letzte Landsberger Jüdin – Anfang November 1940 nach Regensburg in ein jüdisches Altersheim (Weißenburgerstr. 31). Dort fand sie als Hilfskraft eine Stellung, doch wurde sie von dort nach Polen deportiert und in einem KZ ermordet.

 

Ernst Simon, geb. am 24.12.1906, ebenfalls noch in Asch/Böhmen, zog im Mai 1921 von Landsberg nach Ingolstadt fort und lebte danach in München. An einem 9. November (!) wurde Ernst verhaftet und ins KZ Dachau verbracht. Vater Ulrich reiste darob wieder nach Italien, um die Erlangung von Ausreisepapieren für ihn zu beschleunigen, und sei es auch durch Übertragung seiner eigenen, niedrigeren Auswanderungsnummer auf den Sohn. Die Entlassung aus dem KZ zur Auswanderung gelang noch in letzter Minute (1939/1940), auch weil seine Schwester Berta aus Australien inzwischen zugearbeitet hatte.

 

Berta Simon, geb. 13.05.1908 in Schönwald, die im Oktober 1924 nach Frankfurt a. M. zog, unterlag 1935 einer „Postsperre“. Ein an sie gerichteter Brief eines Geschwisters aus Landsberg informierte sie darüber, sie habe per Telegramm aus München erfahren, „dass Kohn und Fischer in Schutzhaft genommen wurden“. Da sich ihre Mutter (in München) darüber sehr besorgt zeigte, wird Berta in diesem Brief gebeten, ihr Beschäftigungsverhältnis als Verkäuferin bei einem Arno Christmann, der früher der kommunistischen „Roten Jungfront“ angehört habe, schnell zu beenden, um nicht auch in Schutzhaft genommen zu werden. „Mach reinen Tisch damit es Dir nicht so ergeht. Hier geht man auch unverschämt vor gegen Westheimer und die anderen. Bisher sind wir noch verschont geblieben. Ernst kann auch nicht mehr bei Klein essen weil sie eine Zuschrift bekommen haben.“

 

Ihr gelang die Ausreise 1937/1938 über eine jüdische Familie in Holland nach Australien, weil sie dort Bekannte hatte, die für sie eine Einreise-Erlaubnis besorgten. Dort angekommen, konnte sie dann für ihren Bruder Ernst etwas organisieren.