Nationalstaatlicher Imperialismus in Europa

Die Realpolitiker ließen sich davon nicht berühren, sondern zogen eine andere Entwicklung vor. In ganz Europa huben nationalistische Kräfte - meist gewaltsam - an, Regionen, die bisher herzlich wenig miteinander zu tun hatten, unter einer Nation zu vereinen. Als Beispiel kann das kriegerische Geschacher um die relativ spät einsetzende nationale Einigung in Italien dienen. Noch in der heutigen Situation wirken dort Unverträglichkeiten nach (das Nord-Südgefälle, Süd-Tirol, nicht akzeptierter Zentralismus u.a.m.) Die imperiale Konkurrenz der sich pubertär gebärdenden Nationen führte über Bruderkriege (1866, Preußen-Österreich) letztlich auch zum Deutsch-Französischen Krieg (1870) und zum Deutschen Kaiserreich. Bismarck hatte zuvor aus diversen Landsmannschaften (unter Aussparung Österreichs) das Deutsche Reich zu einer kompakten, europäischen Mittelmacht geformt. Seine geschickte Diplomatie konnte die Großmächte England, Frankreich, Österreich und Russland, deren hochadlige Häupter alle miteinander verwandt waren, eine Zeit lang gegeneinander ausspielen, doch der Europagedanke war vorerst gänzlich zerstört und nach der Abdankung des Lotsen, 1888, driftete alles auf den Weltkrieg 1914 - 1918 zu. Der terroristische Zündfunke kam aus der nur mühsam beherrschbaren serbischen Anderskultur. (Die kulturhistorischen Wurzeln dieses Unverständnisses, wir wissen es inzwischen, liegen letztlich im Unvermögen, das ost- und das weströmische Reich aufeinander bezogen zu erhalten.)

 

Abdankung der Adelseliten

Mit Kriegsende gingen auch die ausgelaugten, alteuropäischen Dynastien unter, und mit Hilfe der US-Amerikaner, die sich in deren Angelegenheiten eingemischt hatten, wurden 1919 der Völkerbund in Genf, aber auch einige idealistisch gestimmte, pan-europäische Organisationen gegründet, wie 1923 die des japanisch-österreichischen Grafen Coudenhove Kalergi. Dieser Hellsichtige empfand den 1. WK "als Bürgerkrieg zwischen Europäern: als Katastrophe erster Ordnung.“ Er warnte vor einem nächsten Krieg, an dessen Ende Europa durch eine künstliche Grenze "in eine sowjetische Kolonie und ein amerikanisches Protektorat geteilt" werde. Auch bei Unterstützung durch den französischen Außenminister Aristide Briand fand er keine Unterstützung im ohnehin in mancherlei Hinsicht versagenden Völkerbund.

                                                           

Soziale Bewegungen

Inzwischen waren, gestützt auf die Schriften von Marx und Engels, kommunistische, sozia-listische und sozialdemokratische Bewegungen - nicht zu vergessen auch die der Frauen-rechtlerinnen - in ganz Europa entstanden, die bei ihren Anhängern den Internationalismus stärkten. Im Gegenzug formierte und verstärkte sich wiederum die kapitalistische Reaktion in menschenverachtenden, faschistischen Regierungen in fast ganz Europa (v.a. in über-wiegend katholischen Staaten des Südens, aber auch in Österreich und Ungarn). In Deutschland geriet das Volk 1933 in eine fatale Abhängigkeit vom „Führer“, der den Begriff „europäisch“ an Blutsgemeinschaft (als Heimat der „Arier“) festmachte und der durch den Angriff auf Polen (mit seinen Juden) und auf das slawische Russland, einen weiteren Welt-krieg verursachte. Heinrich Himmler wollte »die große Festung Europa« gegen »den bol-schewistischen Machtstaat« verteidigen. Nach dem Krieg mit schrecklicher Opferbilanz inklusive Shoa und Atombombenabwürfen in Japan, 1945, wurde Europa tatsächlich durch den „Eisernen Vorhang“ zweigeteilt, im "Kalten Krieg" (bis 1989) in Hochspannung versetzt. Es kam zu einer ungleichen soziokulturellen und Wohlstands-Entwicklung in West und Ost.