Vergebliche Suche nach den Engländern

In der Nacht zum 28. Mai erfolgt von Ringel der Einsatzbefehl für eine rasch den Engländern nachsetzende starke Vorausabteilung mit leichter Gebirgsartillerie (GAR 95). Noch in der Nacht wird sie gebildet, von der man sagt, sie müsse „Panthergeist“ haben. Herzstück ist die Aufklärungsabteilung unter Mjr. zu Castell, danach kommen Pioniere, die Sperren und Hindernisse räumen, Panzerjäger halten sich gegen mögli-che gegnerische Tanks bereit. Bei Stockungen greift sofort der Kom-mandeur selbst ein. Und so lautet der Einsatzbefehl: „Im Laufe der Nacht werden Ihnen auf der Straße zur Soudabucht bis dicht an unsere vordersten Postierungen folgende Verbände zugeführt und unterstellt: Die Divisions-Aufklärungsabteilung unter Rittmeister Fürst zu Castell, 1 Kompanie Panzerjäger, 1 Kradschützenkompanie, 1 behelfsmäßig motorisierter Zug Pioniere und 3 ebenfalls behelfsmäßig motorisierte Gebirgsgeschütze. Treten Sie mit Ihrer Kampfgruppe möglichst bald an und kämpfen Sie als erstes die Soudabucht frei. Dann in der Verfol-gung den Feind nicht zur Ruhe kommen lassen. Stoßrichtung: Haupt-straße nach Rethymnon, um dort womöglich noch die eingeschlosse-nen Fallschirmtruppen zu befreien. Suchen Sie baldmöglich auch mit der dort auf Stylos vorgehenden Umgehungsgruppe Krakau Verbin-dung zu bekommen. Hinter der Vorausabteilung werden Gruppe Utz und Gruppe Jais auf Wamos und Wrises folgen. Die Fallschirmjäger-verbände werden herausgezogen und zur Räumung der Halbinsel Akri-tochori angesetzt.“ (177)

 

Anforderungen an die Vorausabteilung: „Sie musste dem Gegner stets an die Kehle springen, durfte ihn nie zur Ruhe kommen lassen; sie musste die Männerfreude an der schnellen, kühnen Bewegung haben, den starken Glauben an sich selbst und die Unbekümmertheit in der steten Gefahr. Denn was vor ihr alles sein konnte, was sich rechts und links ihres Weges verbarg, was sich vielleicht hinter ihr abspielte, das durfte diesen stählernen Stoßkeil nie schrecken. Er durfte nur eines kennen: das Ziel schnell und sicher zu erreichen. Jeder einzelne Soldat dieser modernen schweren Reiterei muss ganz dabei sein, muss immer darauf gefasst sein, einen unerwarteten Schlag mit einem wuchtigeren Gegenschlag zu beantworten. – Eine solche Truppe brauchte einen richtigen Führer. Oberstleutnant W. ist es.“

 

0528: 03:50 Aufbruch der Vorausabteilung OTL August Wittmann mit etwa 400 Mann an der Nordküste entlang bis Iraklion – die Straße vol-ler Kraterlöcher und unbekannter Gefahren. Souda und die gleichna-mige Bucht, die 12:00 erreicht und nicht mehr verteidigt werden, kön-nen rasch passiert werden. Draußen liegen die zerstörten britischen Kriegsschiffe (u.a. die „York“). Weiter vor der Straßengabelung von Mega Chorafia geraten sie in feindliches Sperrfeuer, in das hinein heftig zurückgefeuert wird. Eine Straßenbrücke ist gesprengt und erlaubt kein Vorbeikommen, da es links steil runter und rechts steil hoch geht. Eine Umleitung wird mühsam geschaffen und die Kradschützen werden nach vorne gerufen, um durchzubrechen. Danach stoßen sie bei Stylos auf die 85er-Leute der Kampfgruppe Krakau, die Briten auf den Höhen südlich der Bucht niedergerungen hatten. Denen gelingt ein fast perfek-ter Rückzug, gestützt auf Sperrstellen an dafür günstigen Orten, wo-durch die Verfolger immer aufgehalten werden können. So beim Dorf Kaina bei Wrises (Vrysae), wo sie auch noch auf britische Panzer sto-ßen. Ein Gebirgsgeschütz geht daraufhin in Stellung während Witt-mann, mit gutem Beispiel vorangehend, stürmen lässt. Doch der Kampf dauert noch bis zum Abend hin und erst durch Unterstützung ganzer Kompanien der selbst äußerst ermüdeten Gruppe Krakau zeigt sich der Feind entnervt. Er zieht auf der Straße ab, die Panzer sichernd hinter sich herführend. Die gesamte Soudabucht ist nun frei und der Voraustruppe kann nach 30 km kämpfenden Vorankommens eine kurze Nachtrast einlegen. Nach Rethymnon, wo sie erwartet werden, sind es weitere 30 Kilometer. Für diese weitere Aktion bekommt Witt-mann zur Unterstützung zwei Panzer zugesichert und nachgesandt.

 

0529: Die „Schlacht um Kreta“ entwickelt sich nun mehr zu einer „Jagd“. Wittmann bricht bei Tagesanbruch auf und stellt unterwegs endlich fest, dass die Masse der Engländer den Weg nach Süden und nicht, wie erst angenommen, nach Osten genommen hat. Deshalb also haben sie ihre gegebenen Riegelstellungen auf dem Weg nach Rethym-non ungenutzt verlassen und Wittmann kam ungehindert rasch voran. Um 13:00 erfolgt die rasche, da widerstandslose Einnahme von Rethymnon und Entsetzung der 300 gefangenen Fallschirmjäger mit ihrem Obersten Sturm (III. Bat./2. Fallschirmjäger Reg.). Die Stadt wird durchsucht und es werden nach nur angedeutetem Artilleriebe-schuss 700 griechische Gefangene gemacht. Eine Abteilung bleibt zu ihrer Bewachung zurück, auch ein Verbandplatz wird wieder eingerich-tet; Verwundete können nun operiert und besser versorgt werden. Ein zurückgelassenes englisches Warenlager riesigen Ausmaßes kann aus-gebeutet werden und tut gute Dienste (Tropenhelme, Lebensmittel, Schokolade, Tabak usw.) Größere Einkreisungen des weichenden Feindes gelingen letztlich jedoch nicht mehr.

 

Die Gruppe Wittmann, jetzt mit den Panzern und in Begleitung des Generals der Flieger, Student, ist in Eile, Iraklion zu erreichen. Doch stoßen sie schon bald auf eine letzte, aber sehr starke Riegelstellung der Engländer, die nicht einfach im Sturm zu nehmen ist, sondern systema-tisch angegangen werden muss. Schweren Herzens muss Student die Nacht über noch auf die Befreiung seiner Männer harren.

 

Das deutsche Oberkommando hatte bis auf diesen Tag nicht bemerkt, dass die britische Evakuierung vom Fischerdorf Chora Sphakion aus-geht, das gar keinen richtigen Hafen besitzt. Nun versucht man, den Fehler wett zu machen und sendet größere Kräfte dorthin. Um 08:50 wird I./Geb.Jäg.Rgt. 100 aus der Kampfgruppe Utz nach Süden nach Sphakia beordert, um 18:00 folgt das II. Bat. nach, stoßen aber bei Alikampos auf starke britische Rückzugskräfte. Diese werden mit in-zwischen bewährter Taktik – „frontal binden und flankierend umfas-sen“ - aus ihrer Hochgebirgsstellung vertrieben und der Talausgang Richtung Askyfos wird erreicht. Doch zwischen Askyfos und Imwros können sie ein weiteres, starkes Widerstandnest nicht einfach durch-stoßen. Der Gegner muss eigentlich umgangen werden. Der Umfas-sungsvorgang ist aber mit riesigen Höhenunterschieden im weglosen, dürren Karst bei enormer Hitze verbunden.

 

0529: Um 05:00 starten die Deutschen östlich von Rethymnon einen überraschenden, starken Feuerüberfall auf die zahlenmäßig überlegenen Gegner. Als die Munition auszugehen droht und die Kradschützen gerade frontal vorgehen sollen, kommen die Panzer zur Verstärkung gerade noch rechtzeitig hinzu. Auf diese Stärkedemonstration hin zei-gen die Engländer die weißen Tücher. Ein australischer Coronel bietet nach diesen drei Stunden heftigsten Feuers die Kapitulation seines Regimentes an. Nun kann auch noch das letzte Fallschirmjägernest, das bis heute aushalten konnte, entsetzt werden. Student bleibt bei ihnen zurück und Wittmann eilt weiter nach Iraklion, noch 50 km entfernt. Man vermutet ja immer noch die Masse der Engländer mit ihrem Ge-neral Freyberg auf der Insel (der weilte aber schon längst in Ägypten). Auf dem Weg nach Iraklion nur noch vereinzelt Heckenschützen. Der Pass ist nicht mehr besetzt und auch die Straße kann nicht mehr zur Falle werden. Bei Ankunft der Fallschirmjäger am Vortag in Iraklion, gingen der Flughafen und die Stadt ohne einen Schuss zu ihnen über; ein ganzes australisches Regiment ergibt sich. Kontakt mit der Aufklä-rungsgruppe des Fallschirmjäger-Rgts. 1, die bis jetzt ausgehalten hatte. Gegen Mittag kommt Wittmann dort an und trifft Oberst Breuer, den Fallschirmjäger-Helden.

 

Wittmann setzt seinen Marsch weiter fort mit ein paar zusätzlichen Panzern, die auf dem Seeweg nach Iraklion gebracht worden waren. 30 km geht es noch an der Küste entlang, dann biegt die Straße nach Sü-den ab. Bei Einbruch der Dunkelheit ist die Vorausabteilung am Golf von Mirabella. Der Panzer, der zunächst mit Schrecken in der Dunkel-heit vor Ierapetra gesichtet wird, ist einer der verbündeten Italiener. Sie wurden von Mussolini aus Rhodos gesandt – als die Deutschen, nach Meinung Ringels, „die Kastanien schon aus dem Feuer geholt“ hatten. Um Mitternacht ist man in Ierapetra und nun ist erwiesen, dass sich die Masse der Engländer nicht mehr auf der Insel aufhält. Nur Sfakia kam noch in Frage, aber dann musste Freyberg mit seinen drei Divisionen in der Falle sitzen…

 

0530: Verbündung also mit den Italienern in Ierapetra kurz vor Mitternacht; der Voraustrupp Wittmann hat seinen Auftrag binnen dreier Tage meisterhaft erfüllt.

 

0531: Am Morgen stehen die Gebirgsjäger des 100er-Regiments nach irrsinnigen Strapazen überall auf den Bergen über Sfakia und können die Szene überblicken. In Chora Sfakion und Komitades gibt es starke Feindansammlungen, die mit Stukas und Artillerie erst noch sturmreif geschossen werden müssten.

 

0601: Pfingstsonntag. Die Stukas greifen an und mit dem einzigen mit-geschleppten Infanteriegeschütz kann von oben in jede Deckung der Engländer gezielt gefeuert werden. Diese zeigen Wirkung und zerstreu-en sich schutzsuchend im Gelände, in das aber die Umfassungskompa-nien von oben her vordringen (obwohl sie nun selbst ins eigene Feuer aus der Luft geraten können). Erst nachdem eine Kompanie über den einzigen Eselspfad nach Chora Sphakion, Komitades und Lutro ein-dringen kann, ergeben sich die Engländer massenweise (das macht an die 10.000 Gefangene). Sie hatten auch keine Hoffnung mehr, da die Versorgungswege abgeschnitten waren und auf See kein Schiff für sie mehr bereit stand. Am Abend ist ganz Kreta von den Deutschen be-setzt – bis auf ein kleines Areal zwischen Lutro und Sphakia.

 

Schreckliche Bilanz: Jeder vierte Fallschirmjäger kam ums Leben, viel mehr noch wurden verwundet (insgesamt 4.262). Ihnen, vor allem ihren Unteroffizieren, fehlte noch taktische Erfahrung für diese militä-rische Innovation. Dagegen kam auch Mut, Begeisterung und Hingabe nicht auf. Selbst Hitler war geschockt bei der Meldung der Verluste. Bei den Gebirgsjägern starben 1.240 Männer. Darunter Kamerad Knecht.