"Friedlosigkeit ist von außen weder als Dummheit noch als Bosheit anzusprechen; eben darum ist sie weder durch Belehrung noch durch Verdammung zu überwinden. Sie bedarf eines anderen Prozesses, den man Heilung nennen sollte." (C.F. v. Weizsäcker, 1984)

 

 


Vorschläge zum Übergang zu einer neuen Politik nach menschlichem Maß

 

Aufklärungsarbeit, Selbstkritik im Inneren und Stärkung der Opposition

 

Die im kalten Krieg hochgezüchteten, rückwärtsgewandten Denkweisen müssen gezielt wieder abgebaut werden, um die Anfälligkeit einer Gesellschaft für inhumane politische Praktiken zu vermindern. Wir müssen unsere Regierungen parlamentarisch - und falls sich dieser Mechanismus verbraucht hat - auch außerparlamentarisch kontrollieren. Gerade weil von den Entscheidungen der Regierungsverantwortlichen so viele Leben abhängen, dürfen sie einfach keinem falschen Freund-Feind-Denken aufsitzen. Da wir aber selbst kaum die Reichweite besitzen, Regierende bei undurchsichtigen Angelegenheiten zu kontrollieren, müssen wir unsere Abgeordneten, die Leute in den Verwaltungen und die Funktionäre in den Gewerkschaften und Verbänden ständig auffordern, alle ihre Kontrollmöglichkeiten auszuschöpfen. Wir müssen sie auch auffordern, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, im Verhaltensspielraum mit einem angeblichen Feind Distanz und Leere durch Interesse und aufrichtige Kommunikation zu überbrücken.

 

Keine Überreaktion gegenüber feindlichen Gruppen und Staaten!

 

Damit wird ein Zeichen gegeben für einen einseitigen Schritt aus der Konfliktspirale heraus. Ist eine solche sanfte Erwiederung heutzutage Narretei? Der amerikanische Mittelstand, auf den sich Präsident Reagan stützt, denkt wohl so. Er vertritt eher den Gedanken der Wehrhaftigkeit und Abschreckung. In diesen Kreisen will man sich nach jahrzehntelang ertragenen Demütigungen in der Außenpolitik (Vietnam, Persien) jetzt, mit neu aufgebautem Selbstbewußtsein unbedingt behaup¬ten (sich nicht mehr "gegen das Schienbein treten" lassen).

Die sowjetrussische Reaktion auf den Mehrheitsbeschluß des Deutschen Bundestages vom 23. November 1983 (Aufrüstung mit neuen Atomraketen) sollte aber einmal mehr zeigen, daß es eine Illusion ist, zu glauben, man könne den Gegner mit erhöhten Drohungen zu Abrüstungsverhandlungen zwingen. Was wir unseren Kindern oft wohlmeinend als Rat herausgeben, wenn sie einen Streit nicht vernünftig schlichten wollen, hätten wir selbst mehr beachten müssen: Der Klügere gibt nach! Es gehört wirklich eine Klugheit des Herzens dazu, durch einen deutlichen, wenn auch noch so kleinen Abrüstungsschritt zu signalisieren, daß man aus der Destruktion, aus der atomaren Todesspirale heraus will. 

 

Den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen und gemeinsam etwas unternehmen!

 

Der andere muß spüren, daß wir etwas von ihm wollen und unser nachlassendes Wollen darf ihm nicht zum Vorwand dienen, sein vielleicht auch nur schwach aus¬gebildetes Wollen ganz einzustellen. Wir müssen auf allen Ebenen dafür sorgen, daß die Beziehungen zwischen zwei Parteien, die sich in der Zerreißprobe einer Eskalationsbewegung befinden, so realistisch wie möglich gestaltet werden und daß die Kontakte, die wirklich stattfinden können, gut koordiniert werden. 

 

Tips für das Verhalten in Parteien, Gewerkschaften, Berufsverbänden, Kirchen, Vereinen und sonstigen Gremien

 

- Parteien wählen, die für ihre Ziele mit sachlichen Argumenten werben, die Ver¬hetzung weniger nötig haben und die es besser schaffen, in ihren Verhaltenswei¬sen bestimmte Standards der öffentlichen Moral zu erhalten.

 

- Verantwortliche sachlich und gezielt kritisieren, solange noch etwas verändert werden kann. Danach dafür sorgen, daß ein anderer es besser machen kann. Indem man die Schuldigen als Sündenböcke in die Wüste schickt, wird noch nichts verändert!

 

- Die Grenzen, die Personen, Gruppen und Institutionen um sich herum ziehen, sollten durchlässiger gemacht werden (Ein- und Austrittsbedingungen erleichtern, Satzungen offenlegen, Wahlverfahren durchschaubar machen usw.)

 

- Nicht darauf warten, daß Politiker, Funktionäre und Militärs von sich aus, ohne Druck der Öffentlichkeit, aus dem Wettlauf von Bedrohung (im Interesse eigener Sicherheit!) und Ausbeutung (im Interesse des eigenen Wachstums!) aussteigen oder ihn stoppen. Dieses Zuwarten kann fatale Folgen haben.

 

- Standhaft bleiben, wenn es zu Einschüchterungen kommt(eigene Überzeugungen und das persönliche Gewissen sollten dabei helfen) und sich bei allen Funktionen verweigern, die zu weiterer Militarisierung führen und damit das Risiko eines Atomkrieges erhöhen.

 

- In den Gewerkschaften nach Rückendeckung suchen, aber auch die Gewerkschaf¬ten durch kritische Loyalität stärken.

 

- Aus den Berufsverbänden heraus direkt auf den Gang der Politik mit qualifizierten Argumenten Einfluß nehmen. 

 

Tips für Grundhaltungen und Verhaltensweisen in den Erziehungsinstitutionen und am Arbeitsplatz

 

- Den Einfluß als Lehrer darauf richten, daß eine wichtige Fähigkeit als Barriere gegen Vorurteilsbildung aufgebaut werden kann: Die wenigsten von uns sind in der Lage, Urteile zu nuancieren oder lang genug abzuwägen; zu schnell entscheiden wir uns für eine bestimmte Auffassung, wo ein "sowohl ... als auch" eher angebracht wäre.

 

- In der Erziehung und Ausbildung ist es oft weniger wichtig, was ein Schüler oder Lehrling inhaltlich lernt und erfährt, als wie man mit ihm dabei umgeht. Um der unglückseligen "Radfahrer-Reaktion" entgegenzuwirken (man gibt nach unten wieder aus, was man einmal von oben einstecken mußte) , ist größter Wert darauf zu legen

 

- daß niemand gedemütigt wird,

 

- daß Mündigkeit, statt Autoritätsgehorsam betont wird,

 

- daß Achtung vor der kritischen, einfühlsamen Überlegung entstehen kann,

 

- daß die kindliche Neugier nicht erlöschen kann.

 

- Je einschränkender, unterdrückender und formalisierter eine Institution ist, um so weniger natürliche Lebensenergie kann dort ausgelebt werden und um so mehr Aggressions-überschuß wird erzeugt. Daraus leitet sich der Appell ab, Schulen und Arbeitsstätten nach dem Maß des Menschen zu gestalten (Stichworte: "small is beautifull", "Regionalismus" usw.) Schülermitverwaltung, Elternbeirat, Lehrerkonferenz, Personalrat und andere unmittelbar betreffende Gremien sind in ihrem wesentlichen Auftrag aktiv zu stärken. - Es gäbe genügend Möglichkeiten, aggressive Triebenergie mit lustvollen Erfahrungen zu verknüpfen, in sozialen Aktivitäten aufgehen zu lassen und somit produktiv umzugestalten. Leider haben aber selbst die Betroffenen schon bisweilen die Hoffnung aufgegeben, Schule und Ausbildungsplatz konstruktiv mitgestalten zu können - und wollen zum großen Teil auch nicht mehr. 

 

Ein persönliches Schlußwort

 

Es ist so bequem, Verantwortung abzuschieben. Und doch ist dies die schwerste "Sünde" , die wir in einem demokratisch verfaßten Staatswesen begehen können. Im Unterschied zum abgeschafften Obrigkeitsstaat (Kaiserreich, Drittes Reich) kommt es jetzt bei jedem einzelnen Bürger auf Wachsamkeit und Eigenverantwortlichkeit an. Wir sollten damit aufhören, weiterhin blindlings eigene Verantwortung an Politiker und Bürokraten abzu-schieben, die der Verantwortung für das Gemeinwohl bisher nicht genügend gerecht geworden sind. Nicht als Einzelne oder als Gruppen, nein, als ganze Menschheit schweben wir heute in Lebensgefahr. Da sich die (oft überforderten) Rüstungspolitiker und Militär-strategen zunehmend der Rüstungstechnologie und den computerisierten Entscheidungs-zentren ausliefern, droht uns etwas, was menschliches Vorstellungsvermögen übersteigt und als Treppenwitz der göttlichen Schöpfungsgeschichte erscheinen mag: Uns droht die zufällige Apokalypse, für die danach niemand verantwortlich gewesen sein will, für die aber auch niemand verantwortlich gemacht werden kann: Nicht nur die Opfer (wie gewohnt) , auch die Täter und selbst die Berichterstatter werden nach kurzer Zeit nicht mehr leben. Es wird niemand mehr dasein, der sich der Menschheit und ihrer Kultur erinnern könnte. Eine schier unvorstellbare Verantwortungslosigkeit gegenüber unseren Vorfahren und möglichen Nachkommen ist wahrscheinlicher geworden!

 

 

 

"Vorurteile: Einst notwendig zur Bewahrung der Familie, des Stammes, der Gemeinschaft - Fürsorge für eine Gruppe und Haß für die andere - werden wir nun endlich zu der einen lebendigen und liebend-lernenden Welt werden können, in der Menschen menschlich überleben und leben können?

(Ruth C. Cohn, 1975)