Saudade, „manhá“, „cunha“ und „patiencia“

 

Saudade 

 

ist ein Wort, das keine genaue Entsprechung in einer anderen Sprache hat. Im Deutschen ist es wohl am ehesten mit „Wehmut“ oder „wehmütiger Sehnsucht“ übersetzbar. Im Grunde bezeichnet saudade ein religiös-mythisches Gefühl aus immerwährender Erinnerung und schöpferischer Hoffnung. Es spricht von einer äußerst vielschichtigen Gefühlslage, einer Art Grundge­stimmtheit, die man auf zwei Dimensionen zurückführen kann. Was Saudade sein kann, was gerade damit gemeint ist, ist abhängig von der Ausprägung auf jeder dieser beiden Dimensionen und fällt in deren Schnittpunkt:

 

 

Zukunftsglaube

(Wunsch zu handeln)

 

 

 

 

Freude

(alegria)

 

Trauer, Verlust

(tristeza)

 

 

 

 

(melancholische Erinnerung)

Vergangenheitsbezogenheit

 

 

Saudade hat möglicherweise historische Wurzeln im "sebastianischen Trauma". Stellen wir uns Portugal im 16. Jahrhundert vor: Ein durch tüchtige Seefahrer erobertes Weltreich mit Kolo­nien, aus denen Gold und andere Schätze kamen. Die Wissenschaften und die Kunst waren beflügelt. In diesen Zeiten hatten die Portugiesen einen jugendlichen König, Dom Sebastião, der von Jesuiten zu einem extremen Frömmler und romantischen Träumer erzo­gen worden war. Mit seinem Hang zu grandiosen Ideen entwickelte er den Plan, die Mau­ren in ihrem eigenen Land zu schlagen, um so türkischen und englischen Einflüssen dort entgegenzuarbeiten. Am 04. 08. 1578 endete dieses Vorhaben mit einer vernichtenden Niederlage bei Alcácer Quibir (heute: Ksar el-Kebir). Der König selbst und fast die gesamte portugiesische Ritterschaft fanden dort den Tod, 16.000 junge Männer, fast die gesamte portugiesische Elite, wurde somit geopfert; 5.000 mitgebrachte Händler mussten ebenfalls daran glauben. Für das Heimatland Portugal  hatte diese durch Selbstüberschätzung und Unbedachtsamkeit herbeigeführte militärische Niederlage politische Folgen. Philip II. von Kastilien (Spanien) er­hob sich (erbrechtlich nachvollziehbar) zum portugiesischen König und der berüchtigte Herzog von Alba unterdrückte den Widerstand in Lissabon. Erst 60 Jahre später endete die aus portugiesischer Sicht spanische "Besetzung". Bis dahin war auch der Reichtum (durch die Kolonien) und die Überlegenheit als Seefahrernation geschwunden. Portugal wurde zwar 1640 wieder portugiesisch regiert (durch das Haus Bragança), blieb aber bis heute, weltpolitisch gesehen, zweit- oder gar drittklassig.

Beim Bewältigen konkreter Probleme, wie sie zum Beispiel bei Handwerkern anstehen, ist in Portugal eine besondere Form von List gefragt, "manhá". Es handelt sich um eine praktische, organisch-vitale Intelligenz, die Situationen rasch erfasst und nach einer vorteilhaften Lösung abtastet. Gemeint ist damit aber auch Findigkeit und die Gabe, immer wieder Mittel und Wege für Lösungen neu zu ent­decken. Das Adjektiv "esperto" ist viel verbreitet und wird anerkennend ge­braucht für pfiffig, klug, schlau, gewieft usw.

 

 

 

Allein kommt man aber oft nicht weiter in Richtung Problemlösung, und so haben sich im Portugiesischen Ausdrücke entwickelt, die auf das "Vitamin B" ("santa cunha") Bezug nehmen. "Meter uma cunha" heisst nichts anderes, als einen Hebel ansetzen, damit ein Dritter für uns etwas tut. Und "dar/fazer jeito a alguem" heißt soviel wie jeman­dem beistehen, ihm aus der Patsche helfen, der Sache einen Dreh geben, dass sie gelingt. Und wenn einer, den man schätzt, trotzdem Misserfolg hat, tut dies sei­ner Wertschätzung keinen Abbruch. "Böcke schießen" kommt aber oft vor, denn Portugiesen, vor allem Handwerker, arbeiten oft stur vor sich hin, sind "teimoso". Sie setzen sich ihre Ziele und halten eigen-sinnig daran fest. Auch wenn es zu hemmenden Umständen kommt, versuchen sie die ursprüngliche Richtung beizubehalten. Läuft etwas schief, fällt zum Beispiel der Schrank nach unsachgemäßem Aufbau in sich zusammen, muss man eben einfach Geduld (paciência) haben und es nochmals versuchen. Insgesamt bekommt man den Eindruck, dass Portugiesen ihr Leben nicht in mitteleuropäischem Sinne organisieren wollen, vielleicht auch nicht können, vor allem aber auch nicht sollen ...

 

Für lábia (am ehesten Sprüchemachen) steht am besten eine kleine Begebenheit: "Vor vielen, vielen Jahren, als es im alten Café Danúbio in Olhão schon Fernsehen im unteren Raum gab, trat einmal ein Mann vom Land ein und zwar in dem Moment, in dem eine philologische Sendung des Paters Raul Machado lief. Der Mann sah ein bisschen hin und danach sagte er in Hinblick auf den Pater und an die die anderen Gäste gerichtet: "Der Mann ist nicht ganz dumm. Mir gefällt vor allem der Grund, den er als  Rechtfertigung für seinen (Gefühls-)Ausbruch angibt." Phrasendreschen sei ein portugiesisches Merkmal, insbesondere in Politik und Sport. Ein Mittelstürmer, wegen des nächsten Spiels interviewt, könnte antworten: "Pois, in unserer Mannschaft läuft alles bestens, wir sind ganz zuversichtlich, vertrauen auf unsere Stärke und auf unseren Siegeswillen und mit Hilfe aller unserer Fans werden wir schon beweisen, was unsere Anstrengung gebracht hat." So etwas kennt man allerdings auch hier...

 



[1] Beide Zitate von O. Martins, 1978

[2] S. Daveau, Kommentar zu Kap. VII in Ribeiro/Lautensach, Bd. III, S. 700/701