Es dürfte deutlich geworden sein, dass es sich bei Dr. Zalman Grinberg um eine außerordentli-che Persönlichkeit gehandelt haben muss. Dieser Eindruck wird unterstützt durch eine Würdi-gung (24) der Biographie und vorausgegangen Aktivitäten Dr. Grinbergs. Erst daraus erhellt, mit wem es die Schwabhausener zu tun hatten. Er wurde am 4.September1912 als Sohn einer angesehenen, talmudischen Familie in Litauen geboren, erhielt seine Medizin-Ausbildung in der Schweiz und war im Juni 1941, als die Deutschen das (durch den Hitler-Stalin-Pakt) russi-sche Litauen einnahmen, Direktor des Radiologischen Instituts des Universitäts-Hospitals in Kaunas. Als alle Juden dort in einem Ghetto zusammengetrieben wurden, wäre Dr. Grinberg von den Deutschen als Spezialist gebraucht worden, man machte ihm Angebote und versprach den Schutz seiner Familie. Er ging aber lieber mit ins Ghetto und half dort eine medizinische Ver-sorgung aufzubauen. Als das Ghetto am 13. Juli1944 liquidiert wurde, kam Dr. Grinberg ins KZ Dachau und zwar ins Kauferinger Außenlager, wo er Zementarbeiten zu verrichten hatte. Aber auch hier avancierte er bald zum wichtigsten Mann für Gesundheitsfragen im Lager und er kümmerte sich um die sekundäre Typhus-Prävention.
Bei seinen Aktivitäten in Schwabhausen ist hervorzuheben, dass er den Mut aufbrachte, allein Schwabhausen zu betreten, erst um Wasser zu holen, dann um – wie schon berichtet - dem Bürgermeister mit seiner Hinrichtung zu drohen, falls er die "politischen Gefangenen" nicht beschützte und ernährte.
Die Umfunktionierung von St. Ottilien durch Dr. Grinberg wird in einem Dokument (24) wie folgt beschrieben:
"Nachdem er sichergestellt hatte, dass der Bürgermeister tat, was man von ihm verlangte, erkundigte er sich danach, wo das nächste Krankenhaus sei. Nachdem er von dem nur einige Meilen entfernten Hospital in St. Ottilien erfuhr, rief er dessen Direktor an (von Sept. '44 bis Mai '45 war dies Oberfeldarzt Dr. Mayr; A.d. V.) und teilte ihm mit, dass er das Internationale Rote Kreuz repräsentiere und dass er von den herannahenden amerikanischen Streitkräften delegiert worden sei, Vorbereitungen für das Wohl der ausländischen politischen Gefangenen zu treffen und befahl, dass das Hospital Ambulanzen schickte, um die Verwundeten und Kranken aufzu-nehmen. Nach einiger Zeit schickte der Direktor drei Ambulanzen und Dr. Grinberg und all die Menschen, die die Ambulanzen einladen konnten, fuhren in Eile zum Hospital und erreichten es, während es noch in deutscher Hand war. Etwas später stieß US-Captain Otto B. Raymond, der von seiner Einheit abgeirrt war, zum Hospital und sagte, nachdem er die Lage eingeschätzt hatte, "Ich habe meine Einheit verloren, aber ich werde statt den militärischen Orders den Gebo-ten der Menschlichkeit gehorchen.“ Folglich setzte er Dr. Grinberg als Verantwortlichen für das Hospital ein und schickte Militär-Ambulanzen, um die restlichen Dachau-Evakuierten aufzu-nehmen, die bei Schwabhausen geblieben waren. Raymond war auch behilflich, um Dr. Grinberg die nötige Autorität bei der deutschen Lazarettverwaltung zu schaffen.“
Später wurden die bisher unter deutscher Leitung dort befindlichen deutschen und ungarischen verwundeten Soldaten ausgelagert, und St. Ottilien wurde zum bekanntesten rein jüdischen DP-Hospital in der amerikanischen Besatzungszone. Ende Mai befanden sich dort 550 Juden aus aller Welt (litauische, polnische, ungarische, slowakische und griechische). Zufrieden beendet Dr. Greenberg seinen Bericht nach Genf:
"Im Krankenhaus arbeiten deutsche Ärzte und deutsche Schwestern unter der Kontrolle von drei jüdischen Ärzten. Das deutsche Personal gibt sich Mühe und scheint den guten Willen zu haben. Wir haben eigentlich hier in das Krankenhaus 500 Sterbende gebracht, von diesen 500 Sterbenden sind 35 Menschen gestorben, diese eigentlich nur in der ersten Woche. Die Sterblichkeit hat bedeutend nachgelassen. In der letzten Woche betrug sie Null.“
Dr. Greenberg blieb in St. Ottilien bis Ende 1946, als er nach Palästina auswanderte. Zuvor avancierte er noch zum Präsidenten des Zentralkomitees der befreiten Juden in der US-Zone von Deutschland, in Palästina wurde er Vorstand des angesehenen Beilinson Hospital.
Am 28. April 1945 zogen die Alliierten mit Einheiten der 7. US-Armee in St. Ottilien ein. Bis dahin war das Kloster seit 1941 rechtswidrig aufgehoben und diente (neben dem Magnusheim in Holzhausen und dem Theresienbad in Greifenberg) als Reserve-Lazarett für deutsche Wehrmachtangehörige; dazu existierte auch ein Soldatenfriedhof. Der Schwabhausener Dorfarzt Dr. Arnold hatte mit dem Lazarett im Grunde nichts zu tun, er war lediglich der langjährige "Hausarzt" für die Patres im Kloster. (25)
Die ersten Juden, die sich anschleppten bzw. angefahren wurden und kurz darauf verstarben, wurden zunächst auf dem Soldatenfriedhof mitbeerdigt. Später wurde ein eigener, jüdischer Friedhof angelegt, für den der Platz von der damaligen Klosterverwaltung zur Verfügung gestellt wurde. Dorthin wurden die ersten jüdischen Toten umgebettet und auch die folgenden dort (ohne Beteiligung des Klosters) bestattet.
Auf diesem Friedhof ruhen nun diejenigen Juden, die schon zu schwach oder zu stark verwundet waren, um ihre Rettung am Bahndamm von Schwabhausen zu überleben. Aus den nach-träglichen Todesanzeigen der IRO (Preparatory Commission) in Bad Wörishofen vom 24. Februar 1949 (mit Religionsangabe), aus der bei der Gemeinde Eresing geführten Gräberliste und aus einer Ortsbegehung des Friedhofs ließ sich ein Verzeichnis derjenigen jüdischen Personen zusammenstellen, die höchstwahrscheinlich aus dem Bahntransport stammten und in St. Ottilien auch ärztlicherseits nicht mehr gerettet werden konnten. Fast alle litten an "Inanition", das heißt vollkommener Unterernährung. Erfasst werden hier nur die bis Oktober 1945 Verstorbenen überwiegend aus dem KZ-Außenlager Kaufering, darunter sechs, die bei Schwabhausen schwer verwundet wurden.
Einige Namen wurden mal in der Landessprache (Imre), mal verdeutscht (Emme-rich) mal jiddisch ausgesprochen und notiert (Motel für Mordechai). Manchen Schreibfehlern nach zu schließen ("Lojosch Worgo" statt Varga, Lajos) oft nur noch mündlich hingehaucht und weitergegeben. Mögen diese Namen mitsamt den angedeuteten Biographien auch all die am Bahndamm Begrabenen stellvertretend aus ihrer Anonymität befreien!
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