Die Algarvíos, die Besuchermassen und die Siedler

Der Rechtsanwalt Fernando Cabrita aus Olhão, der im "Jornal do Algarve" seit 1989 Glossen und Kommen-tare zum öffentlichen Leben schrieb, hat sich als guter Beobachter der Szene auch darüber ausgelassen, wie nicht nur er, sondern viele seiner Landsleute dem Tourismus gegenüber-stehen. Nicht, dass sie von Fremdenfurcht ergriffen wären oder sich in totaler Ablehnung ergingen, Senhor Cabrita behält eine differenzierte Sichtweise, schreibt aber recht süffisant über die Auswüchse des Tourismus, unter denen die Algarvios leiden. Diese "Leiden" sind für die Einheimischen oft nur deshalb erträglich, weil viele vom Touristenboom profitieren. Andererseits wissen sie aber auch, dass jeder Boom unweigerlich steigende Kosten bedingt, von denen sie natürlich auch betroffen sind. Und nicht nur davon. Einheimische erleben das Einströmen der Massen, sobald die erste Sommerhitze beginnt, wie eine Plage: Die Restaurants und die Verkehrsmittel sind überfüllt, der Service wird schlechter, die Strände sind verschmutzt, die Preise gehen nach oben. Die Bade-Touristen, deren massenhafte Anwesenheit dies alles provoziert, bemerken solches natürlich nicht. Die Einheimischen, die außerhalb der Saison besseres gewöhnt sind, sehr wohl.

 

Wie menschlich und sozial belastend touristische Saisonarbeit im Algarve sein kann, konnten wir samstagabends in einem Restaurant bei Tavira in einer kleinen Szene beobachten und erfahren. Der junge Mann, der uns im total ausgelasteten Restaurantbetrieb bediente, war bei seiner Arbeit für einen Moment von einem vielleicht fünfjährigen Jungen, seinem Sohn, umgeben. Dieser wollte offenbar seinen Vater einfach mal sehen, ihn anfassen, mit ihm spielen, ein wenig Unsinn machen oder auch ihm helfen ... Nach nicht mehr als zwei Minuten musste die Szene (vom Vater) wieder abgebrochen werden. Es gab noch heiße Kusshändchen von der Dachterrasse zur Straße hinunter, mit feuchten Augen einen wehmütigen Blick dem Sohn hinterher - und weiter ging es mit der Bestell-, Servier- und Abräummaschinerie. Die Familie zog indessen zu ihrer Unterkunft, Vater und Sohn hatten sich wenigstens einmal am Tag gesehen. Viele Bewohner des verarmten Alentejo arbeiten im Algarve unter solchen Bedingungen.

 

Der frühere Zivilgouverneur der Region Algarve, Joaquim Anastácio, gab im August 1996 ein Interview zum Thema Tourismus, in dem er gegen die geschilderte Not im Einzelnen den schönen Schein einer Illusion setzt[1]:

 

Frage: "Könnte es sein, dass sich der Algarve in eine "Kolonie" verwandelt, z.B. in eine englische?"

J.A.: "Das ist das Denken der Gegenspieler dieser Region. In Wirklichkeit übt der Algarve den größten Einfluss bei der Akkumulation der Völkerschaften aus, und man kann diese Region während der Sommersaison als die größte Stätte der Nation ansehen. Es gibt Orte, in denen sich die Population verfünffacht. Jetzt sage mir einer, ob das für das Land gut oder schlecht ist."

 

Frage: "... und die Konkurrenz?"

J.A.: "Der Algarve ist eine Region, die es mit der Konkurrenz aufnimmt und die in ihrer Dimension die eigenen territorialen Beschränkungen übersteigt. Was im Algarve geschieht, findet nationalen und internationalen Wiederhall, ich würde mich sogar zu der Aussage versteigen, dass Portugal vielerorts in dieser Welt viel mehr bekannt ist (nur) durch den Algarve. - Die Region Algarve muss die große Stube für die Besucher dieses Landes sein."

 

Schlagzeilen wie "Die Deutschen kaufen alles auf!" oder "Die Holländer beherrschen die Region!" oder "Die ureigene algarvische Seele ist in Gefahr!" könnten einfache Gemüter beunruhigen. Intellektuelle reagieren satirisch: "Der Algarve ohne Fremde ist mehr oder weniger dasselbe wie koffeinfreier Kaffee - es ist der ent-algarvisierte Algarve." (F. Cabrita, 1991, S. 24) Es sei scheinheilig, die Fremden zu verrufen, wo sie doch Reichtum und Entwicklung hereinge-bracht hätten. Wenn man sich zuvor daran besoffen gemacht hätte, bräuchte man nun über den Katzenjammer nicht zu klagen. Im übrigen - immer noch satirisch? - führt Cabrita an, dass seit den mythischen Zeiten des Königs Chrysaor, (dem mit dem goldenen Schwert) den Algarve immer wieder Wellen von Ausländern überspült haben und dass der heutige Algarvio das Produkt einer Jahrhunderte währenden interkulturellen Vermischung sei.

 

Wer hier herkommt und siedelt, passt sich allerdings in gewisser Hinsicht auch an. Ein holländisches Paar kam hierher, kaufte ein Haus und lebt nun hier. Eine Tochter wurde hier geboren, natürlich blond, sommersprossig und vom nordischen Typ. Aber als man ihr in der Schule sagte, sie sei holländisch, erwiderte sie (auf Portugiesisch), sie sei algarvisch, nur die Eltern seien Holländer. Den beunruhigten Algarvios zum Trost spricht Cabrita die Tendenz an, dass viele Ausländer den Algarve besser schützen als die eigenen Landsleute. Wenn Ausländer beispielsweise Land kaufen und die Häuser restaurieren, tun sie das erfreulich häufig im traditionell algarvischen Stil. Portugiesen, die im Ausland gearbeitet haben und mit ihren Ersparnissen wieder zurückkommen, bauen Häuser, die wenig mit dem Algarve zu tun haben. Sie realisieren eher Ideen aus ihren ehemaligen Gastländern (zum Beispiel alpenländischen Stil).

 

Es käme im Algarve wirklich nur darauf an, den "schlechten Tourismus" zurückzuweisen und den "guten Tourismus" zu fördern, der, wie andere Länder, wie zum Beispiel die Griechen auf ihren Inseln gezeigt haben, auch Geld für die Bewohner abwirft. Ansätze dazu kann man in Cabanas de Tavira, Pedras del-Rei (ein ehemaliges Dorf des Club Mediterrané), Sagres, Vila do Bispo und im Zentrum von Lagos ausmachen. Es ist ein Irrtum der lokalen Autoritäten zu glauben, der Preis des Fortschritts sei unumgänglich der, dass alte Strukturen zerstört werden müssen, um Raum für Neues zu schaffen. Was bisher in vielen Tourismus-Zentren neu geschaffen wurde, sieht in den Augen von F. Cabrita so aus: "Von daher kommt es, dass man den ganzen Tourismus akzeptiert. Die Polizisten von Manchester und die Lastwagenfahrer von Liverpool. Die Hooligans und die alternativen Bayern auf der Suche nach verlorener Identität. Das sind die schlimmsten Touristen. Sie kaufen Ferien billig von der Stange und bezahlen zuhause. Sie geben nichts aus außer dem, was ihnen nach den von den Agenturen ausgeteilten Gutscheinen zusteht. Sie verlangen Sandwiches (sandes) und Omeletten in den Restaurants und Hotels. Sie essen aus Konserven auf ihren Zimmern. Sie betrinken sich. Sie sind laut. Sie zeigen ihre Tätowierungen. Sie versauen die Landschaft. Sie verderben die guten Sitten. Sie gehören zur ‘elften Kategorie’. Sie kotzen und spucken auf den Boden. Danach, am Ende der Ferien, reklamieren sie den Charterflug und beschweren sich über Salmonellen. Sie geben den Zeitungen Interviews über Skandale und erklären, sie seien für ihre in London bezahlten 18 Contos die Woche (ungefähr 180 Euro; A.d.V.) schlecht bedient worden."


[1] Übersetzung durch den Verfasser