Portugieische Juden in Flandern, Frankreich und Deutschland

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts flohen an die 100.000 spanische Juden vor der dortigen Verfolgung durch die Katholischen Könige nach Portugal, zu viele, um dort wirklich integriert werden zu können, abgesehen davon, dass auch dort die Dominikaner ihrem Judenhass freien Lauf ließen. So kam es am Palmsonntag des Jahres 1506 in Lissabon zu einem Pogrom, dem zwischen 2.000 und 4.000 „Neuchristen“ zum Opfer fielen. In Portugal waren sie ja auch nur geduldet, nachdem sie sich mit ein paar Tropfen Taufwasser benetzen ließen, zu wenig, um sie fürderhin für wirkliche Christen halten zu können. Große Trockenheit, Hungersnot und Seuchen machten die Menschen allgemein unruhig. Der Funke des Aufruhrs und des Furors sprang über von einem Dominikaner-Pater, der gegen die Neuchristen predigte und agitierte. Drei Tage lang ergriff der Mob in Hundertschaften dann alle Juden, derer er habhaft werden konnte, auf den Straßen oder in ihren Häusern. Sie schlugen sie nieder, schändeten sie  bzw. warfen sie zum Fenster hinaus, wo sie der Mob zerstückelte. Die Halbtoten und Leichen wurden zum Largo de S. Domingos geschleift und dort verbrannt. Erst als am dritten Tag auch ein Schildknappe des Königs ermordet wurde, ließ dieser eingreifen und die Ordnung wieder herstellen. Mit der Politik der Zwangstaufe gescheitert, verwies Manuel I die Juden es Landes und beantragte gar 1515 in Rom, die Inquisition in Portugal zu etablieren.

 

Am 1. Dezember 1652 wurden auf dem Hauptplatz Lissabons bei erzwungener Anwesenheit des Königs, D. João IV., vier "Ketzer" bei lebendigem Leib verbrannt. Diese "judaisierten Neuchristen" waren zwar offiziell der Häresie angeklagt und die meisten hätten klugerweise abgeschworen, das Ganze war jedoch ein Machtspiel zwischen dem König, der nach französischem Vorbild (Richelieus Staatstheorie) einen laizistischen Staat bevorzugte und der aus Spanien importierten „unheiligen“ Inquisition, die am ekklesiastischen Staat festzuhalten entschlossen war. Wenn man weiß, dass die Hauptperson auf dem Scheiterhaufen, Manuel Fernandes de Vila Real, ein Vertrauter des Königs war, dann weiß man auch, dass die Kirche diesmal den Machtkampf gewonnen hatte. Einen einzigen Angeschuldigten, den damals einflussreichsten Bankier Portugals, konnte der König in die brasilianische Verbannung retten. Ansonsten war der Schaden groß, und Unsicherheit verbreitete sich in der Gruppe aufgeklärt denkender Bürger, die unter dem Einfluss der Ideen des Jesuitenpaters Antonio Vieira standen. Noch 1739 ließ die Inquisition einen populären Dichter mit der Würgschraube hinrichten. Antonio José da Silva war ein getaufter Jude, den man beschuldigte, heimlich weiterhin seinem alten Glauben anzuhängen. Es musste erst - nach dem Erdbeben von 1755 - ein Marquis de Pombal an die Macht kommen, um diesem kirchenpolitischen Spuk in Portugal endgültig den Garaus zu machen. Die finstere Atmosphäre in Portugal bis dahin - um 1700 herum, unter D. João V. - wird meisterhaft beschrieben von José Saramago[1] inzwischen auch von Azio Corghi zur Oper "Bli­munda" verarbeitet. Auch Reinhold Schneider hat eine lebhafte und letztlich rechtfertigende Ausmalung der üppigen Verhältnisse im Hochadel und dem namenlosen Elend des einfachen Volkes versucht.[2]

 

Zuflucht Flandern

 

Inzwischen ergriffen viele portugiesische Juden, die Sephardim, die an der aufklärerischen Front standen, die Flucht in Gebiete, in denen sie hoffen konnten, akzeptiert zu werden. Zwischendurch siedelten sie in Bayonne (wo 1689 ein jüdischer Friedhof angelegt wurde) und verteilten sich weiter nach Norden, auch nach Bordeaux. Kulturell am  tolerantesten und liberalsten und für Handelsgeschäfte am geeignetsten war damals jedoch Flandern (aber auch die Hafenstadt Hamburg). So bildete sich ab 1740 in Antwerpen, vor allem aber in Rotterdam und Amsterdam eine Population von Juden rein portugiesischer Abstammung. Diese achteten im Exil konsequent darauf, ihre Sprache, Kultur und religiösen Sitten, das mosaische Gesetz eben, zu bewahren. Man kann sich vorstellen, welche Tragödien sich oft abgespielt haben müssen, wenn ein Familienoberhaupt Assimilationstendenzen (z.B. bei Heiratswünschen) strikt abwehren musste. Diese Familien gehörten zu einer gebildeten Elite, sie beherrschten viele Sprachen, waren von Kindesbeinen an weltläufig, hatten feine Manieren und gepflegtes Äußeres. Rasseforscher meinten später feststellen zu können, dass unter den 4000 Juden, die 1940 noch in Holland weilten, nach den damaligen deutschen Rassegesetzen ungefähr 10% "reine Arier" waren.

 

Das offizielle Portugal hatte zu dieser Zeit vergessen, dass es in Flanderns Hafenstädten eine Gruppe von Juden gab, die über 200 Jahre lang ihre portugiesische Identität bewahren konnten. Salazar, im Bestreben, der deutschen Expansion keinen Vorwand zu liefern, Portugal auch noch zu besetzen, ging solchen Nachrichten gerne aus dem Weg. Er wurde aber in dringlichen Telegrammen darauf hingewiesen, dass Hitlers "Endlösung der Judenfrage" auch vor dieser portugiesischen Restgruppe nicht Halt machen würde. Er hätte, ab 1943 voll eingeweiht,  nur eine Direktive erlassen müssen, dass ihnen portugiesische Pässe auszuhändigen seien. Es half nichts, auch nicht denen mit "arischem Schädel", ab 1943 wurden diese sephardischen Juden/Portugiesen in Eisenbahnwaggons verfrachtet und in den bekannten Lagern "vernichtet". Das den Juden abgenommene Gold, auch die Eheringe und das Zahngold der Erschlagenen und Vergasten, wurde eingeschmolzen und als Zahlungsmittel u.a. auch – nach António Louçã[3] - für nicht fakturierte portugiesische Lieferungen an Deutschland (Wolfram, Sardinenkonserven, Textilien) verwendet. Mit Wissen der Alliierten - so die Recherchen von Newsweek - wurde das jüdische Gold über schweizerische Banken und die Bank von Portugal „gewaschen“, also in die offiziellen Geldströme eingeschleust. 

 

Aber auch die holländische Königin und Landesmutter Wilhelmina ließ ihr Volk zwei Tage vor dem 15. Mai 1940 durch wohl vorbereitete Flucht ins Londoner Exil im Stich. Sie überließ die Juden ihrem damals bekannten Schicksal und trug zu einer Demoralisierung der Bevölkerung bei. Hohe Beamte und die holländische Polizei arbeiteten der von Hitler eingesetzten Zivilverwaltung unter dem Antisemiten Seyss-Inquart zu und viele Landsleute verrieten für 10 Gulden pro Kopf versteckte Juden – darunter auch Anne Frank.[4]

 

Nur ungefähr 200 portugiesisch-stämmige Sephardim entgingen durch Zufälle diesem Schicksal. Diese formierten sich zwar nach dem Krieg wieder um ihre alte Synagoge, die vielen Opfer zwangen sie jedoch, sich mit den Aschkenasim zusammenzutun. Eine Gemeinde rein portugiesischer Juden gibt es nun nicht mehr. De Castro war übrigens der Name des Groß-Inquisitors von 1652, der Name einer der berühmtesten Amsterdamer Juden und der Name der einzigen Überlebenden, die 1995 (in O Público) noch über die Hintergründe des Untergangs interviewt werden konnte. Es ist 2000 sogar gelungen eine Inés de Castro ausfindig zu machen, die, 1968 in Argentinien geboren, mit hoher Wahrscheinlichkeit von jener jüdischen Sippe von Medizinern abstammt, die Anfang des 17. Jahrhunderts von Rodrigo Castro in Lisboa bzw. Salamanca gegründet wurde und den es schließlich nach Hamburg verschlug.

 

Portugiesen in Frankreich und Deutschland

 

In Frankreich lebten im Jahr 2013 ca. 644.000 portugiesische Staatsbürger und insgesamt 1,25 Millionen portugiesisch-stämmige Menschen (lt. Wikipedia) Dazu gehören auch Bürger mit Doppelpass und Kinder der zweiten Generation. Etwa die Hälfte von ihnen hat nur die portugiesische Staatsbürgerschaft und darf nicht abstimmen. Die portugiesische Gemeinde mit französischem Pass ist nicht groß genug, um wirklich eine entscheidende Rolle für den Ausgang der Präsidentenwahl zu spielen. Portugiesische Supermärkte und Restaurants gehören aber fest zum Bild vieler Städte in Frankreich. In der offiziellen Statistik des Landes werden Portugiesen als größte Gemeinschaft von ausländischen EU-Bürgern geführt. Sie leben unauffällig und gelten als besonders gut in die französische Gesellschaft integriert. Allenfalls während der Spiele Portugals bei der EM oder WM bevölkern viele portugiesische Fans gut sichtbar die Stadien.

 

Aus der zunehmend rückständigen und verarmten Salazar-Diktatur machten sich immer mehr Menschen auf den Weg um zu überleben. Viele wurden zu Gastarbeitern, um nicht in die blutigen Kolonialkriege geschickt zu werden oder als Regimegegner in der Haft zu verschwinden. So kommt es, dass in Frankreich beinahe jeder eine portugiesische Familie kennt. Sogar eine recht erfolgreiche Komödie „La cage dorée“ über die fleißigen Arbeiter und Hausmeisterinnen aus Portugal wurde geschrieben und aufgeführt.

 

Für die in Portugal ausharrenden Nachbarn und Verwandten sind die Ausgewanderten oft peinlich, wenn sie ihren Urlaub in ihrer früheren Heimat verbringen. Manche haben sich vom Verdienten Häuser gebaut, die in Stil und Bauweise jedoch nicht die traditionelle Verbundenheit mit der Landschaft respektieren. Bei Einkäufen und in Restaurants trumpfen sie – französisch sprechend und sich etwas Besonderes dünkend – auf. Menschen zwischen zwei Welten, deren Standards im Rahmen der EU sich nur langsam angleichen.

 

Die portugiesische Gemeinde in Deutschland, Stand 2012,  wird vom Statistischen Bundesamt auf etwa 120.000 Mitglieder taxiert; inzwischen dürften einige zehntausende Einwanderer dazugekommen sein, weil die wirtschaftliche Krise sie hierher geführt hat. Wirklich augenfällig ist ihre Präsenz nur in Hamburg. In keiner anderen Stadt leben mehr Menschen mit portugiesischen Wurzeln. Man schätzt die Gemeinde auf gut 9.000. Die neuen Einwanderer zieht es nun aber nur noch zum Teil in traditionelle Anlaufzentren. Andere ergreifen Berufe jenseits von Industrie oder Gastronomie. Sie werden beispielsweise Zahntechniker in Halle oder Krankenschwestern in Frankfurt am Main. Generell ist die neue Auswanderung nun deutlich weiblicher als in den frühen Jahren.  



[1] in "Das Memorial", Rowohlt-Taschenbuch, Reinbek, 1992

[2] "Das Monument", erstes Kapitel in "Wiedersehen mit Portugal", R. Schneider. Portugal. Ein Reisetagebuch. Suhrkamp, Frankfurt/M.. 1984

[3] António Louçã, Hitler e Salazar. Comércio em tempos de guerra, 1940-1944, Terramar

[4] Näheres ist dem Buch der Historikerin Nanda van der Zee zu entnehmen “Um Schlimmeres zu verhindern… Die Ermordung der niederländischen Juden: Kollaboration und Widerstand. München: Hanser, 1999