Portugiesen und Spanier - seltsame iberische Nachbarn

Blick von der spanischen Seite (Castillo San Marco) auf das diesseitige  San Lúcar de Guadiana und über den Grenzfluss hinweg zum portugiesischen Alcoutim mit seiner Burgruine. Zwischen der Mündung des Flusses (Autobahnbrücke seit 1991) und dem weit flußauf gelegenen Mértola gibt es keinen befahrbaren Übergang. Bei Alcoutim war mal eine Seilbahn geplant...

 

Betrachtet man die iberische Halbinsel als Ganzes und nimmt dabei auch das randständige Fleckchen Portugal in Augenschein, ist leicht nachvollziehbar, dass dieses der spanischen Zentralmacht immer ein Dorn im Auge gewesen sein muss. Die Geschichte der beiden Nationen lehrt, dass der Sohn Heinrichs von Burgund, Afonso Henrique, beflügelt durch Siege über die Mauren, sich sein erstes portugiesisches Königreich regelrecht ertrotzt hat. Spätere Rückeroberungsversuche der Kastilier scheiterten, zum Beispiel am 14. August 1385 im Tal von Aljubarrota oder beim Aufstand der Portugiesen gegen die 60jährige kastilische Vorherrschaft von 1640, auch noch Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts (bei Elvas/Olivença); Spannungen blieben bis heute. Trotz gemeinsam avisierter EU-Mitgliedschaft, trotz ähnlicher Sprache, trotz kultureller Gemeinsamkeiten beäugten sich Portugiesen wie Spa­nier bisher wie richtige Nachbarn: misstrauisch, ignorierend, abschätzig.

 

Wer in Portugal versucht, sich mit Spanisch-Kenntnissen verständlich zu machen, stößt auf Vorbehalte; wer in Spanien es mit Portugiesisch versucht, wird konsequent belehrt, wie es auf Spanisch richtig heißt. Spanisch ist in Portugal kein Schulfach und weist auch an portugiesischen Universitäten geringe Verbreitung und Akzeptanz auf. Eher gelingt noch die Verständigung Portugiesisch – Galicisch, da letzteres als Ko-Dialekt des Portugiesischen angesehen wird. Galego (Galicisch) wird von ca. 3 Mio Galiciern gesprochen. Uxia Senlle ist eine faszinierende Sängerin, die sich in ihren Liedtexten zwischen den beiden Sprachen hin und her bewegt.

 

Die beiden jeweils größten Tageszeitungen räumten (noch bis ungefähr 1990) den Nachrichten über das Nachbarland nur 0,5% ihres Platzes ein. Wichtiger sind Nachrichten über Frankreich und Deutschland. Die Nachrichten selbst sind zwar in einem positi­ven Ton gehalten, aber sie sind generell oberflächlich, so nach dem Motto "Es geschieht nichts Wesentliches".[1] In den beiden führenden CD-Läden Faros ist die in Spanien wie eine Heldin gefeierte Maria del Mar Bonet, Interpretin von mallorquinischer und katalanischer Folklore aber auch die einmalige Uxía aus dem nördlichen Stammland Galizien, die in ihrem Repertoire auch Lieder von Josè Afonso hat, völlig unbekannt – oder werden sie nur verleugnet? Andererseits: Auf den Landkarten einer spanischen Großfirma, die Autobahnraststätten und Restaurants betreibt und auf denen neben den eigenen Niederlassungen auch touristische Attraktionen symbolisiert sind, ist an der Stelle, an der Portugal sein müsste, eine deutliche Aussparung, ein weißer Fleck (terra incognita).

 

Eine leise Furcht vor den Spaniern ist den Lusitanern nun aber innewohnend. Dass diese Ängstlichkeit grösser ist als beispielsweise vor den wirtschaftsmächtigen Deutschen, liegt wohl an der räumlichen Nähe, zusammen mit einer recht verschiedenen Charakterart. Folgt man F. Cabrita, fasst seine wesentlichen Aussagen zusammen und schöpft noch aus ein paar anderen Quellen, kommt man zu einer Übersicht von tendenziellen Unterschieden, wobei Algarvíos einmal bei den Portugiesen untergeordnet sein mögen:

 

Merkmal

Spanier

Portugiesen

Temperament und

"Charakterfehler"

heftig, sanguinisch;

männlicher Stolz

friedfertig, ruhig;

weiblicher Hochmut

Streitverhalten

zieht leicht das Messer

legt schnell Verband an

Stierkampf

Blut muss fließen

"Bruder Stier"

Religiöse Feste

Karwoche mit todes­süchtigem Drumherum

Weihnachten als Fest der Liebe und des Friedens

Bild Jesus

geschundener Leich-nam im Schweißtuch

pausbackiges, anhängliches Kind

Bild Marias

Macareña, Mater dolo-rosa, blutige Tränen

weißgekleidet, wie eine naive Jungbäurin

Absorptions­versu­che

1385, 1580, 1810

Keine seit der Staatsgründung 1180

Bürgerkrieg/Revo­lution

mit Bomben, Toten und Gefängnisstrafen

unwahrscheinlich, wenn, dann "Nelken“-Revolution"

Todesstrafe

 

1867 erstmals in Europa abgeschafft

Ende der Diktatur

Erst allmählich nach dem Tod des Diktators

Aus eigener Kraft junger Offi-ziere, getragen v. Bevölkerung

Terrorismus

Basken, Katalanen u.a. bomben sich durch

Kaum Autono­miebestrebungen

Verhältnis zu Fremden

wenig entgegenkommend

zuvorkommend, öffnen Haus und Herz

Musik

feuriger Flamenco

verhaltener Fado

"Urwort"

nada

pois! / saudade

       

Wer eine solche Schwarzweißmalerei für unredlich hält, sei auf eine poetisch-einfühlsame Äußerung des Holländers Cees Nooteboom verwiesen, der erklärtermaßen ein Liebhaber der Hispanität ist: "Spanien ist brutal, anarchistisch, egozentrisch, grausam, Spanien ist bereit, sich für Unsinn in den Ruin zu stürzen, es ist chaotisch, es träumt, es ist irrational. Es hat die Welt erobert und wusste nichts damit anzufangen, es steckt in seiner mittelalterlichen arabischen, jüdischen und christlichen Vergangenheit fest und liegt mit seinen eigensinnigen Städten, eingebettet in diese endlosen, leeren Landschaften, da wie ein Kontinent, der an Europa hängt und Europa nicht ist."[2]

 

Demnach hat die Vision von José Saramago etwas für sich, dass sich die ganze iberische Halbinsel als "Das steinerne Floss" vom Kontinent abtrennen und langsam auf den Ozean hinaus und auf die Azoren zudriften wird. Auf dem Floss vereint die beiden unvereinbaren Brüder, die sich trennen wollen, aber nicht können, Portugiesen und Spanier. Denn wenn die Spanier Kummer haben, wer soll ihnen dann schon beistehen, außer die Portugiesen? Waren es nicht Olhanenser, die bei der Belagerung von Cadiz den Belagerten Erfrischungen brachten? Ein alter Spruch sagt zwar, von Spanien komme weder ein guter Wind, noch eine gute Heirat ("nem bom vento, nem bon casamento"), doch kommt von dort immerhin der Levante (ein warmer, kräftiger Wind), und aus der Heirat des burgundischen Ritters Henrique mit der illegitimen Tochter des kastilischen Alfonso, Theresa mit Namen, ging sogar die portugiesische Nation hervor, denn die königliche Morgengabe war das Gebiet zwischen Minho und Mondego. Und dennoch bekommen die Portugiesen das Gefühl nicht los, die Spanier seien von der Geschichte und vom Schicksal stets einhellig bevorzugt worden. Dass ihnen 1297 Olivença zugeschrieben, 1801 bzw. 1815 wieder abgesprochen wurde, können sie erst heute unter dem Schirm der EU (Europa der Regionen) verschmerzen.

 

Die portugiesisch-spanische Grenze

 

Wer heute die Autobahnbrücke über den Grenzfluss Guadiana nördlich von Ayamonte nach Vila Real de Santo Antonio befährt, die früheren Grenzverhältnisse aber auch noch kennt, kann nur noch staunen: Niemand hält ihn auf, es gibt „freie Fahrt für Europas Bürger“, weder Personal-, noch Zollkontrollen. Das Grenzland (terras rainas), erfährt durch die europäischen Einigungsprozesse und die konsequente Öffnung der Grenzen für den Reise- und Warenverkehr überraschend-befreiende Veränderungen.

 

Symbol dieser ungewohnten Verbundenheit mag die 1991 eingeweihte Autobahnbrücke über den Guadiana nördlich von Ayamonte und Castro Marim sein. Brücken haben die Funktion, Getrenntes zu verbinden. Die beiden Pfeiler stehen wie Antipoden zwar je vereinzelt, tragen aber gemeinsam, was sich über sie und zwischen ihnen hin und her bewegt. In dieser Tragefunktion tasten sich die starken Stahltrossen wie suchend aufeinander zu. Geplant von einem Portugiesen, wurde diese Schrägseilbrücke von einem portugiesisch-spanischen Konsortium erbaut.

 

Weiter nördlich, in der Höhe der spanischen Extremadura, kommt es zu paradoxen Resultaten einer forcierten Europapolitik. Ein Soziologe sprach schon von der "Desartikulation der traditionellen Interdependenzen vor Ort", ein portugiesischer Journalist, der in dieser Gegend recherchierte[3], fasste es in die Worte "Die Grenze, als sie noch existierte, vereinigte und zerriss komplementäre Teile der Grenzbevölkerung; die Grenze, die jetzt verschwindet, trennt endgültig, was nie jemand geteilt hatte." Dieser wunderliche Widerspruch löst sich auf, wenn man über Arbeits- und Liebesbeziehungen, vor allem aber über das Schmuggelwesen als traditionelle, riskante Erwerbsquelle spricht.

 

Im Grenzland oben bei Valverde del Fresno hat sich ein uriger Dialekt entwickelt und erhalten, der mit dem Galizischen verwandt scheint.[4] Dort gibt es auch viele Spanier, die bei sich zuhause portugiesisch sprechen; in umgekehrter Richtung ist dies weniger der Fall, da doch mehr Portugiesen in Spanien Arbeit auf den Feldern suchten oder dorthin heirateten. Das Flüsschen Abrilongo ("Birlongo"), das ehedem die beiden Länder trennte, kann heute im kleinen Grenzort El Marco (zwischen Esperança und La Codosera) auf ein paar alten Brettern leicht überquert werden. Der Fluss und sein Wasser bergen keine Geheimnisse mehr, kein Grenzwächter, "guardinha", belästigt mehr.

 

Dies war nicht immer so. Das Schmugglerwesen verband nämlich die Bevölkerungsteile auf eine besonders intime Weise - auf Gedeih oder Verderb. Auf alten Schleichwegen wurde zu Fuß und in der Nacht Kaffee geschmuggelt. Es gab auch Epochen, in denen Bananen, Tabak oder "Cola Cao" transportiert wurden. In kalten Nächten, bei Regen und Schnee, manchmal bis zur Brust im Wasser, trug jeder Schmuggler seine 25 kg Schmuggelgut überm Kopf ins andere Land hinüber. Erst in späteren Jahren ließ die Vigilanz der Wachen nach und man konnte die Lasten - Risiken blieben aber immer - auf Esel verladen. Es waren diese Risiken, die die Alten in den Grenzdörfern in ihren Geschichten immer noch mit Wehmut auf ein Leben voller Abenteuer zurückblicken lassen.



[1] Público vom 02.07.95, S. 30

[2] C. Nooteboom " Der Umweg nach Santiago", Suhrkamp, Frankfurt, 1996

[3] veröffentlicht in Publico Magazine vom 17.12.95

[4] Ein weiterer Dialekt ist das Mirandês (Miranda do Douro), bei dem es sich um eine lateinische Sprache aus der spanischen Provinz Leon handelt; der schöne Dialekt bildete sich, da sich die Portugiesen vom katalanischen abgrenzten, aber auch vom portugiesischen Hinterland abgeschnitten waren. "Yê ua lhengua guapa" (Es ist eine schöne Sprache).

 

Eine weitere Brücke zwischen den beiden EU-Staaten, 2015 fast fertig, doch noch nicht dem Verkehr freige-geben.

Sie überbrückt den Rio Chanca in der Höhe des spanischen Paymogo und verbindet somit das südwestliche Andalusien mit Serpa und Beja im Alentejo.