Ethnologische Notizen zum "Algarvío"

Natürlich ist es vermessen, hier ein Bild "des Portugiesen" zeichnen zu wollen. Solche Nationalcharaktere gab es in dieser Allgemeinheit nie und gibt es nir­gends; sie sind verallgemeinernde Zuschreibungen. Außerdem sind es gerade die Alentejanos und Algarvíos, die etwas neben dem unterstellten portugiesischen Typ liegen:

 

"Von der Sonne verbrannt, mit bärtigem Gesicht, lebhaften Augen, freien Ge­sten, edler und straffer Haltung, bizarr, lebensfroh, gastfreundlich und gesel­lig, drückt der Bewohner des Alentejo in seiner ganzen Erscheinung die ein wenig strenge Größe des kargen Bodens aus, auf dem er lebt."
"Der Bewohner der Provinz Algarve ist ein Andalusier. Im Gegensatz zum Alentejaner interessiert er sich für alles, ist ständig in Bewegung, mit einer fast kindlichen Lebhaftigkeit." [1]
„Der Algarvio ist ein Alentejaner, jedoch ohne Bremsen.“  (Redensart)

 

Auch nur noch aus Ihrer Erinnerung holt die einheimische Geographin Suzanne Daveau Bilder portugiesischer Mentalität von 1960, die noch stark von der gesellschaftlichen Differenzierung zwischen oben und unten geprägt waren. Dazu gehörte das Dienstmädchen (criada), das sich jede Hausfrau hielt, die auf sich hielt. Es wurde mit dem autoritären „Du“ angeredet, während dieses mit „Eure Exzellenz“ hochgreifen musste. Die einfache Landbevölkerung und die städtische obere Mittelschicht („Senhior Doutor“/“Senhor Engenheiro“) kann man sich in ihrem Verhalten und ihren Äußerungsformen nicht unterschiedlich genug vorstellen. Für die Landbevölkerung gab es so gut wie keine schulische Unterweisung und auch für die übrigen Schichten stand das Auswendiglernen von fertigem Wissen im Mittelpunkt. Zu einer Öffnung des Blickwinkels und zum Akzeptieren unterschiedlicher Wertvorstellungen verhalfen eigentlich erst die emigrierten Gastarbeiter, wenn sie in die Ferien zurückkamen und auspackten oder erzählten und letztlich auch das Fernsehen mit seinen verführerischen Verhaltensmodellen.[2]

 

Bilder vom portugiesischen Menschen, die einmal gegolten haben mögen, sind inzwischen zu Klischees verfestigt. Vielleicht sind auch schon die einfühlsamen Schilderungen überholt, zu denen Reinhold Schneider und später C. Meyer-Claeson, Kenner und Liebhaber des Landes, gefunden haben. Zu diesen gehören Charakterisierungen wie "humildade" (Demut, Anspruchslosigkeit, Unterwürfigkeit) oder "saudade" (oft missverstan­den als ausschließlich rückwärtsgewandte Melancholie im Genre des Fado). Wieweit sie auf Algarvios zutreffen, ist ohnehin die Frage. Wenn hier dennoch ein Psychogramm versucht wird, dann nur, um unkundigen Touristen grobe Verstöße im Benehmen zu ersparen, sie zu ermutigen, mithilfe ei­ner versuchsweise ungermanischen Lebenseinstellung respektvoll mit Süd-Portugiesen in Kontakt zu treten.